Download: Das BVerfG zum Tragen des islamischen Kopftuchs an öffentlichen Schulen , Datum: 20.04.2015, Format: Publikation

Leitsätze
zum Beschluss des Ersten Senats vom 27. Januar 2015
- 1 Bv R 471/10 -
- 1 BvR 1181/10 -

Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2
GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen
Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend
verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines
islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.
Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57 Abs. 4
SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten
Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche
Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist
unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend
verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der
verfassungsrechtlich verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der
negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der
Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags - erfordert eine
einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend
konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.
Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen
über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer
hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der
staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein
verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse Bekundungen
durch das äußere Erscheinungsbild nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für
bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu
unterbinden.
Werden äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen in der
öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule zum Zweck der Wahrung des
Schulfriedens und der staatlichen Neutralität gesetzlich untersagt, so muss dies für
alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich unterschiedslos
geschehen.

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