Gemeinsam gegen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit , , Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz zu Ursachen, Vorbeugung und Bekämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Quelle: Henning Schacht
"Sozialer Frieden und demokratischer Zusammenhalt: Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung": Das war der Titel der Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz am 21. und 22. November 2023. Im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) kamen dazu weit über einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammen, darunter Musliminnen und Muslime, Akteure aus dem jüdischen Leben, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen, der Kirchen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft.
Die zweitägige Veranstaltung widmete sich in Podiumsdiskussionen und Workshops den Ursachen, Zusammenhängen, Erscheinungsformen, der Vorbeugung und der Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus unter Muslimen. Den Auftakt bildeten Reden von Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundespräsident a.D. Christian Wulff.
Veranstaltung im Schatten des 7. Oktober
"Unser heutiges Zusammentreffen steht im Schatten der Ereignisse im Nahen Osten und der unmittelbaren Auswirkungen, die dieser Konflikt auf uns in Deutschland hat. Gerade in solchen schwierigen Zeiten zeigt sich, wie wichtig die DIK als ein Forum des Dialogs ist. Zur Wahrheit gehört auch, dass insbesondere auf Israel bezogene Ressentiments unter Muslimen in Deutschland deutlich verbreiteter sind als im Durchschnitt der Gesellschaft"
, so Innenministerin Faeser in ihrer in die Veranstaltung einleitenden Grundsatzrede. Und weiter: "Auf keinen Fall dürfen Muslime in Deutschland für islamistischen Terror in Haftung genommen werden. Denn die meisten Musliminnen und Muslime sind seit langem tief verwurzelt in unserer demokratischen Gesellschaft. Antisemitismus kann nicht mit Muslimfeindlichkeit bekämpft werden!"
Quelle: Henning Schacht
Auf der Fachtagung wurde deutlich, dass es unter den Teilnehmenden eine klare und unmissverständliche gemeinsame Haltung gegen Antisemitismus, gegen Israel-Hass und gegen Bedrohungen gegenüber Jüdinnen und Juden gibt. Zugleich wurde mit Nachdruck daran erinnert, dass viele Musliminnen und Muslime im Alltag durch muslimfeindliche Übergriffe bedroht sind. Antisemitismus auf der einen und Muslimfeindlichkeit auf der anderen Seite, so die weithin geteilte Wahrnehmung, weisen bei allen Unterschieden etwa hinsichtlich ihrer Ursprünge und Wirkweisen oft Schnittmengen und Gemeinsamkeiten auf.
Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus aus wissenschaftlicher Perspektive
Dies wurde auch deutlich in der ersten Podiumsdiskussion, die sich als wissenschaftliches Panel den unterschiedlichen Facetten, Wechselwirkungen und Überschneidungen beider Phänomene widmete. Es diskutierten Prof. Mathias Rohe (Leiter des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Koordinator des ehemaligen Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit, UEM), Prof. Riem Spielhaus (Georg-August-Universität Göttingen und Leiterin der Abteilung "Wissen im Umbruch" am Leibniz-Institut für Bildungsmedien), Prof. Meltem Kulaçatan (Goethe-Universität Frankfurt/Internationale Hochschule IU Standort Nürnberg), Dr. Axel Kreienbrink (Gruppenleiter Forschungszentrum im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sowie Dr. Sina Arnold (Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin).
Quelle: Henning Schacht
Schulterschluss notwendig
Inwiefern die Prävention und Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, welche Anstrengungen in diesem Bereich bereits unternommen werden und welche Bedeutung hier auch dem Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft zukommt, war Thema des zweiten Podiums. Es diskutierten aus der Perspektive der politischen Praxis und des Verwaltungshandelns: Staatssekretärin Juliane Seifert (Bundesministerium des Innern und für Heimat), Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (Antirassismusbeauftragte des Bundes), Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Danijel Cubelic (Leiter des Amts für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg) und Winfrid Wenzel (Leiter der Zentralstelle für Prävention im Landeskriminalamt Berlin/Antisemitismusbeauftragter der Polizei Berlin).
Best Practice und Handlungsbedarf: vier Workshops
Den ersten Veranstaltungstag schlossen vier Workshops ab, in denen unterschiedliche Dimensionen des Gesamtthemas vertieft diskutiert und aufbereitet werden konnten. In diesen Workshops ging es im Schwerpunkt um:
- Aspekte und Möglichkeiten einer systematischen und übergreifenden Erfassung und Dokumentation von Vorfällen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit,
- Formate der (politischen) Bildung für unterschiedliche Zielgruppen zur Sensibilisierung für Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus,
- Lehrformate der Bundespolizeiakademie zu den Phänomenbereichen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit sowie
- Ansätze und Projektförderungen zur Stärkung der Teilhabe von Musliminnen und Muslimen.
Der zweite Veranstaltungstag startete mit einer zusammenfassenden Vorstellung der Diskussionen und Ergebnisse der Workshops. Hier wurde deutlich, welch große und vielfältige staatliche wie zivilgesellschaftliche Anstrengungen es bereits gibt, für Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus jeglicher Prägung zu sensibilisieren, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit transparent zu machen sowie entsprechend motivierter Diskriminierung und Gewalt vorzubeugen. Ebenso bewusst machten die Berichte aus den Workshops aber auch, wo noch Handlungsbedarf besteht und welche Bedarfe aus Sicht von Betroffenen und deren Vertretungen noch nicht ausreichend adressiert werden.
Extremismusprävention, "Soziale Medien", politische Bildung
Quelle: privat
Die DIK-Veranstaltung schloss ein drittes Podium ab, auf dem neben Jörn Thießen (Leiter der Abteilung Heimat, Zusammenhalt und Demokratie im BMI), Ahmad Mansour (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, MIND GmbH), Dr. Deborah Schnabel (Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank), Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung), Lamya Kaddor (MdB Bündnis 90/ Die Grünen) und Omar Kuntich (Bündnis Malikitische Gemeinde Deutschland e.V.) diskutierten. Gesprächsgegenstände waren hier u.a. Erklärungsansätze hinsichtlich einer weithin wahrgenommenen wachsenden Intoleranz und Verrohung im öffentlichen Diskurs, die Situation in Schulen und Bildungseinrichtungen, die Rolle "Sozialer Medien" sowie die Voraussetzungen und Perspektiven einer Stärkung der politischen Bildung.
Klares Signal: Nein zu Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit gleichermaßen
Von der DIK-Tagung geht das klare politische Signal aus: Der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht mit Muslimfeindlichkeit zu gewinnen, im Gegenteil: Er braucht die Muslime und ihre Vertretungen genauso wie es stets aufs Neue vielfältige Anstrengungen in allen Bereichen des politischen Handelns und des gesellschaftlichen Engagements braucht. Die Tagung zeigte ebenso: Muslime stoßen tagtäglich auf Ressentiments und negative Zuschreibungen. Muslimfeindlichkeit – und in der Folge offener Hass und oft handfeste Gewalt – ist ein massives Problem und eine große Bedrohung für das muslimische Leben in Deutschland. Wer nein zu Antisemitismus sagt, muss ebenso klar auch nein zu Muslimfeindlichkeit sagen – und umgekehrt.
Die DIK-Veranstaltung hat hier zentrale Einsichten vermittelt und einen wichtigen Austausch ermöglicht. Sie hat – wie in den letzten 17 Jahren bereits – Gelegenheit geschaffen, miteinander zu sprechen statt übereinander. Quintessenz war aber ebenso, dass die jüngsten Ereignisse große Herausforderungen für den Dialog und den gemeinsamen Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung bedeuten. Es bleibt gemeinsamer Anspruch, dass dieser Schulterschluss auch und gerade in der Deutschen Islam Konferenz gesucht und gefunden wird.
DIK bleibt zentrales Diskussionsforum
Denn als zentrales Forum der Bundesregierung für den Dialog mit Musliminnen und Muslimen in Deutschland versteht sich die DIK bewusst als Ort, an dem offen und kontrovers diskutiert werden kann, ein Ort auch für schwierige Debatten und unbequeme Themen. Sie ist ein Impulsgeber für die Versachlichung der Diskussion und den offenen Austausch zwischen Staat und muslimischen Vertretungen, aber ebenso zwischen Muslimen und anderen Religionen. In diesem Sinn wird sich die DIK auch weiter mit beiden Facetten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beschäftigen: dem Antisemitismus mit muslimischen Bezügen ebenso wie der Muslimfeindlichkeit und dem antimuslimischen Rassismus.