"Deutschland ist meine richtige Heimat" , Datum: 24.04.2024, Format: Meldung , Wie ein Projekt die Identität junger Menschen stärkt

Bei einer Bildungsreise nach München konnten muslimische Jugendliche und junge Erwachsene aus ganz Deutschland die Verflechtung zwischen deutscher Geschichte und Gegenwart mit dem Islam und historischen muslimischen Personen erleben. Das dazugehörige Projekt trug dazu bei, dass sie sich als deutsche Musliminnen und Muslime sowie als Teil der deutschen Gesellschaft identifizieren.

Projekt "Muslimische Spuren in Deutscher Heimat"

Die Bundesregierung unterstützt Projekte, die der Umsetzung der Ziele der Deutschen Islam Konferenz (DIK) dienen. Dazu zählt das Projekt "Muslimische Spuren in Deutscher Heimat" des Trägers "Sozialdienst muslimsicher Frauen e.V.". Von 2021 bis 2023 engagiert sich das Projekt für den Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft und machte durch verschiedene Maßnahmen muslimische Menschen als Teil dieser Gesellschaft sichtbar.

14 Frauen und fünf Männer im Alter von 16 bis 25 Jahren aus ganz Deutschland hatten sich zu der Bildungsreise vom 5. bis 8. Oktober nach München angemeldet, um dort auf den Spuren deutscher Vergangenheit und Gegenwart Bezüge zu Islam und Muslimen zu erkunden.

Dabei spiegelte die Zusammensetzung der Gruppe, wie vielfältig die Biografien junger Musliminnen und Muslime in Deutschland sind. Ein Großteil der Teilnehmenden war in Deutschland geboren und etwa die Hälfte hatte einen türkischen Hintergrund, doch es waren auch Migrantinnen und Migranten mit palästinensischen, syrischen und marokkanischen Wurzeln dabei.

Die Bildungsreise fand als Teil des Projekts "Muslimische Spuren in deutscher Heimat" der Wohlfahrtsorganisation Sozialdienst Muslimischer Frauen e.V. statt. Im Rahmen des Projekts wurden bereits seit 2021 Bildungsreisen nach Berlin, Potsdam, Dresden, Zossen, Hamburg und München durchgeführt. "Wir wollen deutsche Geschichte und Gegenwart mit muslimischer Perspektive erzählen" sagt Projektleiter Taner Yüksel, "um mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und Zugehörigkeit" zu erreichen.

Der Islam und muslimische Menschen sollen so als Teil der deutschen Gesellschaft erfahrbar werden. Das Projekt wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert und betreut. Das Vorhaben setzte die Ziele der Deutschen Islam Konferenz (DIK) um, indem es die Teilhabe von Musliminnen und Muslimen in der Gesellschaft gefördert hat. Gleichzeitig wollte es durch politische Bildung einen Beitrag leisten zur Stärkung des innermuslimischen Dialogs und der muslimischen Zivilgesellschaft. Das Projekt wurde Ende 2023 erfolgreich abgeschlossen.

Muslimische Spuren in München

Frauen und Männer sitzen auf Stühlen vor einer Wand. Für eine gemeinsame Erinnerungskultur: Bei der Führung über „Muslime in Dachau“ in der KZ-Gedenkstätte Quelle: Taner Yüksel

In München haben die Teilnehmenden einen Sufi-Orden deutscher Muslime, die Tariqa Burhaniya, besucht und erhielten eine Führung zum Thema "Muslime in Dachau" in der KZ-Gedenkstätte. Sie waren beim Freitagsgebet in der Islamischen Gemeinde in Penzberg dabei und haben mit Imam Benjamin Idriz gesprochen. Außerdem konnten die Teilnehmenden muslimische Spuren in Münchens historischem Stadtbild entdecken, von einem türkischen Kiosk im Nymphenburger Park bis zu den Türmen der Frauenkirche.

Dass die Architektur von Münchens zentralem Wahrzeichen islamisch beeinflusst ist, sorgte für großes Erstaunen: Die Turmspitzen der Frauenkirche gehen zurück auf Darstellungen einer Pilgerfahrt nach Jerusalem im Jahr 1483. Die Kuppel des Felsendoms und ihre Wirkung auf das Stadtbild inspirierten die Baumeister, so dass sie auch in München diesen architektonischen Akzent setzten.

Viel Neues hörte die Gruppe auch im Vortrag über die lange Geschichte des Austauschs zwischen Deutschland und der arabischen Welt, der bereits zur Zeit Karls des Großen im 8. Jahrhundert nachgewiesen ist und neben konflikthaften auch immer wieder kulturell bereichernde Momente hatte.

Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau zeigte den Jugendlichen die besondere Rolle von Musliminnen und Muslimen im Nationalsozialismus. Sie waren Opfer, Täter, Mitläufer und im Widerstand. Die Geschichte des in Dachau inhaftierten Imams und Widerstandskämpfers Abdelkader Mesli beeindruckte die Gruppe und führte zu Diskussionen, wie sich Muslime auch heute gegen Rassismus und Antisemitismus positionieren müssen.

Efe Pekal, 17, aus Stuttgart war begeistert zu erfahren, wie unterschiedlich der Islam gelebt wird. Deutsche, die zum Islam konvertiert sind, wie im Sufi-Orden Tariqa Burhaniya, hatte er bisher noch nicht kennengelernt, auch die Rituale der Sufis mit Tanz und Gesang waren ihm neu. Die Offenheit in der Islamischen Gemeinde Penzberg habe ihn beeindruckt, meint der 17-Jährige. Dort konnte man erleben, wie eine Moscheegemeinde durch interkulturelle und interreligiöse Öffnung zu einem integralen Teil der Ortsgemeinde geworden ist.

Gefühle der Beheimatung

Frauen und Männer sitzen in einem Stuhlkreis. Eine Frau und ein Mann stehen in der Mitte des Kreises. Deutschland als Heimat: In der Abschlussrunde äußerten Teilnehmende, die Bildungsreise habe ihnen geholfen, Gefühle von Fremdheit zu überwinden. Quelle: Taner Yüksel

Verbindungen zwischen Deutschland und dem Islam sowie Muslimen zu entdecken, helfe, das Narrativ von Muslimen als Migranten und damit auch Fremden zu durchbrechen, meint Projektleiter Yüksel. Die jungen Menschen könnten dann entdecken, dass sie doch nicht so fremd sind, wie viele von ihnen annehmen.

Gefühle der Fremdheit in Deutschland kannten viele der Teilnehmenden. "Wir fühlen uns hier immer noch nicht richtig anerkannt," meint Esra Cetin. Immer wieder würde sie gefragt, warum sie so gut Deutsch spreche, dabei ist sie hier geboren. Doch nach der Bildungsreise habe sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass "Deutschland meine richtige Heimat ist", sagte sie in der Abschlussrunde. Sie war nicht die einzige, die sich so geäußert hat. Von mehreren Teilnehmenden kam am Ende die Rückmeldung, die Bildungsreise habe ihnen geholfen, ein Gefühl der Beheimatung in Deutschland zu empfinden.

"Solche Reaktionen haben wir häufig nach den Bildungsreisen", sagt Taner Yüksel. Das Angebot habe dazu beigetragen, dass muslimische Menschen sich stärker als Teil der deutschen Gesellschaft erfahren können. "Sie werden als ein Teil der Vielfalt sichtbar, anstatt fortwährend als das Fremde markiert zu werden."

Claudia Mende