Gemeinsam besser: Muslimische Gemeinden in Wismar und Erfurt vereinen Menschen , Datum: 19.06.2024, Format: Meldung, Bereich: Im Dialog , Ein Besuch bei islamischen Gemeinden in Ostdeutschland offenbart, was der Förderansatz "Moscheen für Integration" dort bewirken konnte

"Moscheen für Integration – Öffnung, Vernetzung, Kooperation"

Der Förderansatz "Moscheen für Integration – Öffnung, Vernetzung, Kooperation" (MfI) unterstützte von 2019 bis 2023 muslimische und alevitische Gemeinden in Deutschland im Rahmen der Projektförderung der Deutschen Islam Konferenz. Die ausgewiesenen Ziele von MfI waren vor allem die Stärkung der Gemeinden als zivilgesellschaftliche Akteure sowie der Ausbau und die Verstetigung ihrer Vernetzung vor Ort. Der Förderansatz wurde durch vier Teilprojekte umgesetzt, die bei folgenden Trägern angesiedelt waren: dem Goethe-Institut e.V., der Otto Benecke Stiftung e.V., der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung GmbH und dem Paritätischen Gesamtverband.

Auf den ersten Blick scheint der Handwerker in der Tischlermontur sich auf den Hof der muslimischen Gemeinde Erfurt verlaufen zu haben. Auf den zweiten Blick ist genau das Gegenteil der Fall: Der 32-jährige Nils Manger ist auf der Suche nach einem deutschsprachigen Koran. "Ich möchte mehr über den Islam erfahren. Wir leben alle hier in Deutschland zusammen. Da finde ich das wichtig", sagt er. Die offenen Türen des Deutsch-Arabisch-Orientalischen Vereins sind die Einladung dazu.

"Das passiert hier öfter", nickt Ahmad Tabaja lächelnd. Er ist als Vorsitzender eine der treibenden Kräfte im Gemeindeleben. "Wir wollen einen Ort der Begegnung für alle Menschen bieten, egal welcher Herkunft oder Religion", sagt er. Es geht um den sozialen Austausch innerhalb und außerhalb der Gemeinde.

Das war auch Kern des Förderansatzes "Moscheen für Integration – Öffnung, Vernetzung und Kooperation", mit Hilfe dessen die Erfurter Gemeinde in den vergangenen vier Jahren beim Auf- und Ausbau ihrer sozialen und zivilgesellschaftlichen Arbeit unterstützt wurde. Ziel des Förderansatzes war die Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe muslimischer Gemeinden und ihrer Anerkennung als zivilgesellschaftliche Akteure durch eine engere Vernetzung mit kommunalen Stellen, anderen Gemeinden und lokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Trägerorganisationen sorgten für Umsetzung des Förderansatzes

Eine der insgesamt vier Trägerorganisationen, die den Förderansatz von 2019 bis 2023 umsetzten, ist die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Im Rahmen ihres Teilprojektes "jumenga – jung, muslimisch, engagiert" ging es unter anderem um den Aufbau von Kenntnissen zum zielführenden Austausch mit Behörden. Auch die Förderung sozialer Aktivität bei jungen Gemeindemitgliedern spielte eine große Rolle.

Intensivierung des Austausches

Als eine von insgesamt 13 durch jumenga unterstützte Gemeinden hat die Erfurter Gemeinde beispielsweise im Bereich gesamtgesellschaftliche Vernetzung eine Veranstaltung für Jugendliche zum Fastenmonat Ramadan organisiert. Hier haben nicht nur Schiiten und Sunniten als unterschiedliche islamische Glaubensgruppen gemeinsam gebetet. Auch die Diskussion mit christlichen Jugendlichen oder Atheisten aus Schule und Nachbarschaft war ein wesentlicher Punkt. "Wir haben zusammen gegessen, Fragen zum Islam beantwortet und ein kreatives Mal-Projekt gestartet", erzählt Mariam Tabaja, Tochter des Gemeindevorsitzenden.

Zwei Frauen stehen vor einer Tafel und lachen. Haben sich im Rahmen von jumenga um die Jugendarbeit im Deutsch-Arabisch-Orientalischen Verein Erfurt gekümmert: Fatima Ayk (links) und Mariam Tabaya. Quelle: Stop press & public/Helmut Stapel

Zu den Austauschangeboten der Gemeinde gehören ebenfalls ehrenamtliche Moscheeführungen. Junge Gemeindemitglieder haben dafür im Rahmen von jumenga die Weiterbildung zu "Jugendleiter*innen" absolviert, um sich stärker einbringen zu können.

"Gastfreundschaft spielt eine große Rolle im Miteinander. Wir bieten Interessierten bei den Führungen Tee und Süßigkeiten an, reden, lernen voneinander", erzählt Pirusan Mahboob. Er hat während der Teilnahme am Projekt die Vernetzung zwischen der Gemeinde und der Erfurter Politik sowie dem interreligiösen Gesprächskreis Thüringen intensiviert. Seiner Meinung nach hat die Gemeinde sehr von der Projektteilnahme profitiert und beispielsweise gelernt, Mikroprojekte durchzuführen und Schreiben an Politikerinnen und Politiker zu formulieren. "Wir fühlen uns insgesamt viel stärker wahrgenommen. Auch nachfolgende Generationen in unserer Gemeinde gehen jetzt raus in die Gesellschaft und engagieren sich für den gegenseitigen Austausch."

jumenga stand inhaltlich auch für die Öffnung der Gemeinde zur Nachbarschaft und die Kooperation mit kommunalen Behörden. Gut 350 Kilometer von Erfurt entfernt in Richtung Norden an der Ostsee hat der Islamische Bund Wismar e.V. dieses Konzept im Rahmen des jumenga-Projekts mit Bravour umgesetzt. Für eine Aufwertung des Stadtviertels rund um die Moschee wurden Gemeindemitglieder und Nachbarn zum "Ärmel hochkrempeln" aufgerufen. "Menschen werfen oft ihren Abfall unbedacht in die Gegend. Dieses negative Erscheinungsbild wollten wir gemeinsam ändern", erzählt Nadia Elkorchi, stellvertretende Vorsitzende des Vereins.

Mediale Aufmerksamkeit durch Nachbarschaftsaktion

Müllsäcke, Signalwesten, Sammelzangen, Handschuhe, sogar ein gesponsorter Abfallcontainer von der städtischen Müllabfuhr wurden organisiert. "Familien mit Kindern, Anwohner, Unterstützer – alle haben mitgeholfen", freut sich Nadia Elkorchi. Rund 70 Leute haben fleißig gesammelt. Am Ende des Tages war der Müllcontainer komplett gefüllt und der Stadtteil sauber.

Die gesellschaftsübergreifende Aktion der Moschee hatte nicht nur das persönlich ausgesprochene Lob des Wismarer Bürgermeisters Thomas Beyer zur Folge, sondern auch mediale Aufmerksamkeit und Präsenz. Das öffentliche Interesse an der Gemeinde in Wismar ist seitdem gewachsen.

"Das Potenzial für den gegenseitigen Austausch ist groß. Als Basis dafür haben einige von uns im Rahmen von jumenga die Ausbildung zu Dialogbeauftragten gemacht", erzählt Berbis Fallaha. Die junge Mutter stammt aus Syrien. Durch das Ehrenamt in der Moschee hat sie schnell soziale Kontakte bekommen und auch die deutsche Sprache gelernt. "Wir sind hier zweisprachig unterwegs und bauen das intensiv aus - sowohl für Erwachsene als auch jüngere Gemeindemitglieder", betont Nadia Elkorchi. "Für den klaren Austausch mit Behörden und den Umgang mit unseren Nachbarn ist das extrem wichtig."

Projektteilnahme als Ideenquelle

Eine Frau hält ein Stück Stoff in der Hand. Ist stolz auf die gesellschaftliche Resonanz der neuen Nähstube und die Produkte: Nadia Elkorchi, stellvertretende Vorsitzende im Islamischen Bund Wismar. Quelle: Stop press & public/Helmut Stapel

Die stellvertretende Vorsitzende geht den langen Flur hinunter und öffnet eine Tür. Bücherregale, buntes Mobiliar, gemütlicher grauer Teppich – die Kinderbibliothek – als Idee entstanden und organisiert durch jumenga. "Wir bieten hier betreute Lesestunden für Kinder jeder Kultur oder Religion, damit schon die ganz Kleinen lernen, miteinander umzugehen und sich auszutauschen", betont Sohn Baha Elkorchi. Diesen Grundsatz setzt die Wismarer Moschee auch für Erwachsene um - im Bereich Frauen-Empowerment. Mit Hilfe von jumenga wurde nur ein paar Türen weiter die neue große Nähstube geschaffen.

"Durch die Zusammenarbeit mit der DKJS als Träger haben wir gelernt, wie die Organisation zukünftiger Projekte funktionieren kann. Die Nähkurse belegen Frauen jeden Alters oder Glaubens. Die gemeinsame Leidenschaft verbindet und überwindet spielend einfach Barrieren", sagt Nadia Elkorchi stolz und hält eine selbstgenähte Bluse hoch.