Interview zur Deutschen Islam Konferenz mit Jörn Thießen
, Datum: 27.03.2025, Format: Meldung, Bereich: Im Dialog

Jörn Thießen leitet die Abteilung „Heimat, Zusammenhalt und Demokratie“ im Bundesministerium des Innern und für Heimat. Damit ist er zuständig für den staatlichen Dialog mit Muslimen und für die Deutsche Islam Konferenz (DIK). Im Interview äußert er sich zur DIK und zur Zukunft des Islamdialogs.

Herr Thießen, als Abteilungsleiter Heimat im BMI sind Sie für die Deutsche Islam Konferenz (DIK) zuständig. Was ist Ihr Fazit nach drei Jahren DIK?

Portraitbild eines Mannes Jörn Thießen, Abteilungsleiter "Heimat, Zusammenhalt und Demokratie" im BMI Quelle: © BMI

Als ich 2022 Abteilungsleiter im BMI wurde und die Zuständigkeit für die DIK übernahm, lernte ich schnell: Die Islamkonferenz ist keine einmalige Tagung, die dann die eine konkrete Lösung aus dem Hut zaubert. Sie ist vielmehr ein auf lange Zeiträume angelegter Prozess, der wichtige Diskussionen, gegenseitiges Vertrauen und im Ergebnis häufig positive Veränderung hervorbringt. Rückschläge sind dabei normal, aber die Erfolge sind beachtlich. Wenn mich internationale Kollegen auf die DIK ansprechen, dann positiv. Deutschland wird hier als Pionier betrachtet. Frankreich hat kürzlich einen eigenen Prozess à la DIK begonnen.

Vieles, was uns islampolitisch heute als selbstverständlich erscheint, beruht auf Empfehlungen, gemeinsamen Erklärungen oder Anschubförderungen der DIK. Um einige Beispiele zu nennen: Deutschland verfügt im Bildungsbereich mittlerweile über eine eigenständige, vom Ausland unabhängige islamisch-religiöse Bildungsstruktur, vom Religionsunterricht an Schulen oder islamische Theologie an Universitäten, bis hin zur Imamausbildung. Grundlagen hat die DIK ebenfalls in den Bereichen islamische Wohlfahrt und Seelsorge gelegt. Integrations- und Teilhabepolitik wird in der DIK immer mitgedacht. Bei Themen wie der Prävention von Hass gegen Muslime, von islamisch legitimiertem Antisemitismus oder auch hinsichtlich gemeinsamer Ansätze für die Prävention von islamistisch begründetem Extremismus hat die DIK über die Jahre unentbehrliche Pionierarbeit geleistet. Überhaupt beruht vieles, was wir über das muslimische Leben in Deutschland wissen auf wissenschaftlichen Erhebungen, die im Rahmen der DIK angestoßen wurden. Ohne die DIK hätten wir nicht die deutschlandweit repräsentativen Grundlagendaten für eine Diskussion über den Islam in Deutschland, angefangen bei der Anzahl und Zusammensetzung der in Deutschland lebenden 5,5 Millionen Musliminnen und Muslime.

Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) steht immer wieder in der Kritik, die Bundesregierung fördere durch die Islamkonferenz vor allem konservative Moscheeverbände. Ist was dran an der Kritik?

Die DIK versammelt neben muslimischen beispielsweise auch staatliche Teilnehmergruppen und bindet dabei auch die Wissenschaft sowie christlichen Kirchen und auch jüdische Organisationen anlassbezogen ein. Es geht nicht darum, irgendjemandem den "roten Teppich" auszurollen oder "süßen Tee" zu trinken. Wir diskutieren, streiten, suchen aber immer auch konstruktiv nach Lösungen für reale Probleme. Auf muslimischer Seite beteiligen wir unterschiedlichste Akteure, welche die enorme Vielfalt des gelebten Islam in Deutschland abbilden. So nehmen neben Moscheeverbänden auch muslimische Bildungsträger, Jugendorganisationen, karitative Einrichtungen aber auch Personen teil, die den Moscheeverbänden skeptisch gegenüberstehen, wie beispielsweise Ahmad Mansour, Eren Güvercin und andere. Dadurch unterstützen wir auch einen lebendigen, vielfältigen innermuslimischen Dialog in einem sehr heterogenen muslimischen Umfeld.

Zusätzlich fördern wir zur Umsetzung der Ziele der DIK Projektvorhaben etwa in den Bereichen Integration und Teilhabe, Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit, Imamausbildung und Stärkung des innermuslimischen Dialogs. Dabei erhalten Träger finanzielle Mittel zur Umsetzung konkreter Projekte, wie die Alhambra Gesellschaft, die Bildungsstätte Anne Frank, der Sozialdienst muslimischer Frauen und andere. Dachverbände von Moscheegemeinden gehören nicht zu den Trägern von DIK-geförderten Projekten.

Warum beteiligen Sie denn dann in der Deutschen Islam Konferenz überhaupt die Moscheeverbände?

Die an der DIK beteiligten Verbände sind hinsichtlich Größe und Herkunftsbezug, aber auch Zusammensetzung und konfessioneller Ausrichtung sehr vielfältig. Viele haben den Anspruch Religionsgemeinschaften zu sein. Nach dem deutschen Religionsverfassungsrecht sind Religionsgemeinschaften die Ansprechpartner für den Staat. Das gilt übrigens für so wichtige Themen wie etwa die Theologie an Hochschulen, die Imamausbildung, den schulischen Religionsunterricht, die Seelsorge. Das Innenministerium kann sich die Partner nicht willkürlich aussuchen. Egal ob konservativ, liberal, sunnitisch, alevitisch, der Staat muss sich an die weltanschauliche Neutralität halten. Das gibt das Grundgesetz vor. Den Religionsdialog führen wir übrigens auch mit Juden, Christen und anderen Glaubensgemeinschaften.

Und dennoch schauen wir genau hin, mit wem wir sprechen. Mir ist wichtig, dass sich in die DIK unterschiedliche muslimische Perspektiven und Vertreter verschiedener islamischer Strömungen einbringen können, daher habe ich in meiner Zeit den Dialog zum Beispiel um die MTO Shahmaghsoudi erweitert. Zugleich nehmen die Islamische Gemeinschaft der Schiiten oder der Zentralrat der Muslime an der DIK nicht mehr teil. Natürlich kann es auch wieder Entwicklungen geben, die dazu führen, dass die genannten Organisationen wieder eingeladen werden. Dies ist eine Ermessensfrage. DITIB ist übrigens auch ein Thema, aufgrund der zum Teil auch politischen Einflussnahme durch die Türkei. Wir differenzieren also und wägen ab. Und wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.

Um auf DITIB sprechen zu kommen: Warum führen Sie mit DITIB einen Dialog? Schließlich gilt die Organisation doch als "verlängerter Arm Erdogans"?

Eine große Zahl bei uns lebender Muslime engagiert sich in den über 900 Moscheegemeinden unter dem Dach der DITIB, ohne dass sie damit ein politisches Anliegen verfolgen. Für diese Menschen sind die Moscheegemeinden Orte des Glaubens, des kulturellen Austauschs, des sozialen Miteinanders, der Wohltätigkeit. Wir sprechen mit dem Bundesdachverband DITIB und bringen - wo immer angebracht - Kritik an. Die Anbindung der DITIB an die Regierungsstellen in Ankara ist aufgrund der seit einigen Jahren verstärkten politischen Einflussnahme aus der Türkei problematisch. Daher empfinde ich es als einen großen Erfolg, dass wir uns mit der Türkei und der DITIB im vergangenen Jahr auf die schrittweise Beendigung der Entsendung von Imamen der staatlichen türkischen Religionsbehörde, die dem türkischen Präsidenten Erdogan untersteht, nach Deutschland geeinigt haben. Schritt für Schritt soll nun in Deutschland ausgebildetes DITIB-Personal die Imame aus der Türkei ersetzen. Solche Erfolge erzielt man nur durch kontinuierliches und kritisches Miteinanderreden, das konstruktiv auf Lösungen setzt.

Was hat das BMI in der DIK in den letzten drei Jahren erreicht?

Neben den Fortschritten im religionspolitischen Dialog, den wir neben der Türkei auch mit anderen Herkunftsländern von Muslimen wie beispielsweise Marokko führen, haben wir uns intensiv mit der Frage des hier eingesetzten muslimischen Religionspersonals auseinandergesetzt: Wo kommen etwa Imame und Gemeindepädagoginnen her? Was bringen diese an fachlichen Qualifikationen mit? Wie können wir die Ausbildung in Deutschland und in deutscher Sprache befördern? Welche Abschlüsse haben die Absolventen? Dabei sind wir viele Schritte vorangekommen, die letztlich einen autonomeren und in Deutschland beheimateten Islam stärken. Die 2024 publizierte DIK-Handreichung zur Anerkennung der Berufe und Ausbildungsgänge von religiösem Personal islamischer Gemeinden ist in diesem Themenfeld eine wichtige Hilfestellung.

Ein weiteres Thema betrifft die Auseinandersetzung mit Ausgrenzung, Rassismus und Hass. Wir haben in der DIK intensive Gespräche zu Muslimfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus geführt. Als Teil einer Gruppe betrachtet zu werden, die oftmals mit negativen Attributen assoziiert wird, macht etwas mit den Betroffenen. Uns geht es in der DIK daher darum, stärker für das Vorhandensein von Muslimfeindlichkeit zu sensibilisieren und auch gezielt muslimische Teilhabe zu stärken. Ich habe in den vergangenen Jahren viele Musliminnen und Muslime kennengelernt, die sich mit Herzblut – und oftmals ehrenamtlich – für unsere freiheitliche und liberale Gesellschaft engagieren. Wir tragen mit der DIK auch dazu bei, dass dieses Engagement sichtbarer wird. Auch mit dem Antisemitismus haben wir uns in der Islamkonferenz intensiv auseinandergesetzt und das nicht erst seit dem 7. Oktober 2023. Der Workshop mit muslimischen und jüdischen Organisationen, den ich hierzu geleitet habe, ist mir aufgrund der emotionalen, aber respektvollen und lösungsorientierten Diskussionen noch gut in Erinnerung. Gerade vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer Vorfälle war es mir wichtig, dass uns ein vertrauensvoller Austausch mit den vielfältigen muslimischen Organisationen gelingt.

Für welche Themen braucht es den Islamdialog in Zukunft noch? Wurden nicht irgendwann alle Themen in der DIK abgearbeitet?

Tatsächlich geht es nicht darum, mit neuen Themen das Rad neu zu erfinden. In vielen Bereichen baut ein Fortschritt auf den anderen auf, gerade deshalb dauern diese Prozesse auch viele Jahre. Nachdem in Deutschland mittlerweile hervorragende muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger ausgebildet werden, sollten wir uns etwa genauer anschauen, wie muslimische Angehörige unserer Streitkräfte und der Polizei ein seelsorgerisches Angebot erhalten können. Immerhin verteidigen diese Menschen täglich unsere gesellschaftliche Ordnung und unsere Sicherheit.

Nach der Einrichtung theologischer Fakultäten, die wiederum seit einigen Jahren islamische Theologinnen und Theologen ausbilden, widmete sich die DIK der in Deutschland verorteten Ausbildung von Imamen und anderem – auch weiblichem – religiösem Personal. Für die Zukunft bedarf es folgerichtig einer tiefgründigen Diskussion, wie eine vom Ausland losgelöste und auskömmliche Finanzierung der Moscheegemeinden und ihres in Deutschland ausgebildeten Personals aussehen kann. In Zeiten hybrider ausländischer Einflussnahmeversuche gewinnen solche Fragen zusätzliche Bedeutung.

Die einzelnen Prozesse in der DIK sind also bei Weitem nicht abgeschlossen und bedürfen eines kontinuierlichen Nachhaltens sowie zum Teil auch neuer Impulse durch die DIK. Die fortwährende Begleitung dieser Themen durch die Bundesregierung liegt abgesehen von religions- und verfassungspolitischen Erwägungen in unserem ureigenen gesellschafts-, integrations- und im weiteren Sinne auch sicherheitspolitischen Interesse.

Was ist Ihre Prognose: Hat sich der Dialog mit Muslimen überholt?

Es braucht auch künftig einen strukturierten gesamtstaatlichen Dialog mit den organisierten Muslimen in Deutschland, wie ihn die DIK seit Jahren erfolgreich umsetzt. Im BMI haben dies kluge Köpfe seit langem erkannt und haben diesen Prozess seit 2006 immer wieder angepasst und weiterentwickelt. Ich bin überzeugt, dass die Notwendigkeit dieses Prozesses auch in Zukunft gesehen wird.

Wir danken Ihnen.

Das DIK-Team