DIK-Tagung "Perspektive junger Musliminnen und Muslime" , Datum: 14.06.2021, Format: Meldung, Bereich: Im Dialog

Am 5. Mai 2021 luden das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) gemeinsam mit der Deutschlandstiftung Integration (DSI) zur Onlineveranstaltung "Perspektive junger Musliminnen und Muslime" ein. Die Veranstaltung im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz (DIK) richtete den Fokus auf die jüngere Generation von Musliminnen und Muslimen und ihre Sicht auf islampolitische Entwicklungen und Fragestellungen in Deutschland.

Ausgangspunkt für die Diskussionen war das Thesenpapier "Perspektive eines jungen Islams in Deutschland", das als Ergebnis der dreitägigen Klausurtagung "#WirAlmanya. Perspektive eines jungen Islams in Deutschland" im Herbst 2020 entstanden ist. Vierzig muslimische Stipendiatinnen und Stipendiaten der DSI hatten im Rahmen der digitalen Tagung zehn Thesen zur "Vision Islam 2030" entwickelt und zusammengefasst.

Im ersten Teil der Veranstaltung stellten Gonca Türkeli-Dehnert, DSI-Geschäftsführerin, und Dr. Yasemin El-Menouar, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung, die Ergebnisse der seinerzeitigen Tagung vor. Dabei wurde deutlich: auch wenn die Teilnehmenden sich u.a. aufgrund der unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Islam in Vielem unterschieden, waren sie sich doch in ihrer Vision dahingehend einig, dass der Islam als selbstverständlicher Teil zu Deutschland gehören solle, so El-Menouar. Unter diesem Gesichtspunkt formulierten sie drei Kernthesen. Erstens: Der Islam in Deutschland ist vielfältig und vielstimmig. Darin unterscheide er sich auch mitunter vom Islam in vielen muslimisch geprägten Ländern. Zweitens: Gesellschaftliche Anerkennung und Abbau von Diskriminierung sind notwendig. Alle Teilnehmenden der Klausurtagung hatten Diskriminierungserfahrungen bis hin zu Feindseligkeit erlebt, sowohl im Bildungsbereich als auch im Berufsleben. Drittens: Die eigene Religion soll selbstbestimmt gelebt werden. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlen sich von der Mehrheitsgesellschaft bevormundet, die von ihnen einen "zeitgemäßen Islam" fordere, obwohl dieser nach ihrer Auffassung bereits bestehe, so El-Menouar.

Herausforderungen in der muslimischen Jugendarbeit

Diese drei Kernthemen wurden in der anschließenden Diskussion zwischen Staatssekretär Dr. Markus Kerber und den jungen Musliminnen und Muslimen beleuchtet und weiter vertieft.

Alaa Baazaoui, DSI-Alumna und Teilnehmerin der Klausurtagung #WirAlmanya, unterstrich, dass aus ihrer Perspektive als sichtbare Muslima und deutsche Biochemikerin, die sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewerben möchte, die wichtigste Aufgabe sei, von Seiten der Mehrheitsgesellschaft und Politik die Voraussetzungen zu schaffen, "damit sich Muslime hier anerkannt und uneingeschränkt als Teil der Gesellschaft fühlen können".

Taner Beklen, Gründungsmitglied und Vorsitzender des Muslimischen Jugendwerks e.V., fasste seine positiven Erfahrungen aus zwölf Jahren aktiver Jugendarbeit zusammen und wünschte sich für die Zukunft eine weitere Professionalisierung der Strukturen. Ihm sei es wichtig, dass Jugendarbeit nicht auf Präventionsarbeit reduziert werde und junge Musliminnen und Muslime nicht ausschließlich als "konflikt- bzw. problembeladen" gesehen würden. Die Vorteile des von ihm gegründeten verbandsunabhängigen Vereins lägen darin, dass die Mitglieder freier seien, neue Formate und neue Zielgruppen zu definieren. In einem großen Verband sei man dagegen gebunden an gewachsene Strukturen und Absprachen.

Akin Simsek, von 2019 bis Juni 2021 stellvertretender Vorsitzender der DITIB-Jugendorganisation "Bund der muslimischen Jugend in Deutschland (BDMJ)", forderte u.a. ein stärkeres Engagement junger Menschen innerhalb der Verbandsstrukturen, aber auch ihre Einbindung in Führungsfunktionen durch die Verbände selbst.

Staatssekretär Kerber griff in seiner Stellungnahme die drei im Rahmen der Klausurtagung aufgestellten Thesen auf: "Die drei Themen sehen auch wir als Aufgaben, die wir gemeinsam angehen müssen – zum einen als Impulse aus der Mitte der Gesellschaft. Wichtiger aber noch ist es, dass die Musliminnen und Muslimen sich hier selbst einbringen", fasste Kerber zusammen. Mit Blick auf die Vielfalt des Islam in Deutschland verwies er auf die aktuellen Zahlen aus der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland 2020", die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Ende April veröffentlicht hatte.

Neue Formen medialer und digitaler Selbstorganisation

Welche alternativen medialen Formen des Dialogs und Selbstausdrucks Musliminnen und Muslime nutzen, um sich eigene Freiräume zu schaffen und selbstbestimmt Themen zu setzen, stand im Mittelpunkt des zweiten Teils der Veranstaltung.

Dr. Fatma Sagir, Kulturanthropologin und Islamwissenschaftlerin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, stellte in ihrem Vortrag Ergebnisse aus ihren Studien vor, für die sie Beiträge von Musliminnen auf den Plattformen wie YouTube, Instagram und Tiktok ausgewertet hat. Influencerinnen, so Sagir, entwürfen hier ein vom öffentlichen Diskurs abweichendes, alternatives Bild einer Muslimin. Es gehe ihnen um einen Gegenentwurf zum allgemeinen Medienbild. Im digitalen Raum gehe es um das Entdecken und die "Verhandlung" muslimischer Identitäten und Lebensentwürfe.

Gegennarrative im virtuellen Raum

Fernab der allgemeinen Mediendiskurse ginge es den Influencerinnen bei der Nutzung digitaler Medien um die Selbstgestaltung eines Raums. Viele Influencerinnen sähen ihre Beiträge mit einem inhaltlichen Ziel: "Wir möchten nicht die braven Mädchen sein und den anderen unsere Religion erklären", erklärte Sagir. Da es in der digitalen Kultur um Selbsterkundung und -darstellung gehe, zeige sie immer die Banalität des Alltags. Im Kontext muslimsicher Frauenwelten kann das Makeup dennoch eine politische Botschaft senden.

In der folgenden Diskussion sprachen Muhamed Beganović, Gründer und Chefredakteur des Magazins "Qamar" (arabisch für Mond, siehe https://www.qamar-magazin.at/), sowie Abdessamad Affani und Abdeljalil Moradi, den Machern des Podcast „Qil&Qal“ (Arabisch: "das Sagende und Gesagte" (wörtlich) bzw. "Geschwafel/Philosophieren" als humoristische Redewendung, siehe u.a. https://www.listennotes.com/de/podcasts/qil-und-qal-qilqal-lJFPO1nQ7c0/) über die Chancen und Herausforderungen neuer muslimischer Medienangebote auf dem deutschsprachigen Medienmarkt.

So sehen Beganović, Affani und Moradi die Vereinfachung von Themen durch Schwarz-Weiß-Bilder und die damit einhergehende Polarisierung von Meinungen und Darstellungen auf digitalen Kommunikationsplattformen als eine Herausforderung, die Influencer mit Journalisten der klassischen öffentlichen und privaten Medien teilen. Muslimische Influencerinnen und Influencer hätten wie viele andere auch das Problem, unterstrich Beganović, dass komplexe Themen nur schwer in Hashtags formuliert werden können. Auch sei es dann schwierig, die gewünschte Reichweite zu erzielen. "Vereinfachungen sind das Erfolgskonzept für eine große Reichweite," bestätigte Moradi. So wecke man Emotionen. Der Einstieg in digitale Medien sehe zwar einfach aus, erfordere aber schon sehr viele Kompetenzen, unterstrich er.

Ein Fazit der Veranstaltung war, die Diskussionen über alternative und vielfältige Bilder und Perspektiven junger Musliminnen und Muslime in Deutschland, ihre Rolle und Repräsentanz in der deutschen Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs gemeinsam mit Vertretern aus den öffentlich-rechtlichen und privaten Medien fortzusetzen.