"Corona" und die Moscheegemeinden - ein Gespräch mit Meho Travljanin , Datum: 03.04.2020, Format: Interview, Bereich: Im Dialog

Die Corona-Pandemie hat auch beträchtliche Auswirkungen auf die Religionsausübung und das Leben in deutschen Moscheegemeinden. Die Redaktion der Deutschen Islam Konferenz (DIK) sprach beispielhaft mit Meho Travljanin, seit 2013 Vorsitzender des Islamischen Kulturzentrums der Bosniaken in Berlin.

Herr Travljanin, die Corona-Pandemie hat auch massive Auswirkungen auf das Leben in den muslimischen Gemeinden. Wie erleben Sie derzeit den Alltag?

Travljanin: Befremdlich, sehr befremdlich. Normale Alltagsaktivitäten können nur eingeschränkt erfolgen, vor allem fehlt mir der Kontakt zur Familie und zu Freunden. Das Gemeindeleben ist komplett zum Erliegen gekommen. Am Wochenende haben wir uns immer in der Gemeinde getroffen. Das Beisammensein fehlt. Vor allem beim Freitagsgebet. Auf der anderen Seite hat man nun Zeit für andere Sachen. Das Familienleben ist intensiver geworden und es wird mehr gelesen.


Welche besonderen Herausforderungen stellen sich aus Ihrer Sicht für die Finanzierung der Gemeinden und die Bezahlung des Personals?

Travljanin: Unsere Gemeinden sind auf Mitgliederbeiträge und Spenden angewiesen. Beim Ausbleiben von regelmäßigen Aktivitäten führt dies auch zu Mindereinnahmen. Das ist natürlich ein Problem, das zur Folge hat, dass unsere Imame und Angestellten dadurch auch in private finanzielle Bredouille kommen können. Etwaige Rücklagen für solche Fälle dürften in den meisten der Gemeinden nicht vorhanden sein. Zu befürchten ist auch ein negativer Trend unserer Imame, sich anderweitig nach Jobs umzusehen. Die Imame sind hochschulausgebildete kompetente Fachleute und müssen, genau wie wir alle, ihre Lebenshaltungskosten bestreiten. Es wäre unfair, ihre Entlohnung allein der Mildtätigkeit der Moscheemitglieder zu überlassen. Dieses Problem bei der Beschäftigung geeigneten Personals haben wir auch jenseits der aktuellen Pandemie. Hier müssen wir als Gesellschaft nach tragfähigen Lösungen suchen.

Haben Sie Ihre Mitglieder bereits um Spenden gebeten? Wie hält es die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland, die IGBD, damit?

Travljanin: Nein, das haben wir bis dato nicht gemacht. Ob das einzeln in den Gemeinden vorkommt, kann ich nicht sagen. Ich kann es mir durchaus vorstellen angesichts knapper Kassen in den als eingetragene Vereine tätigen Gemeinden. Vor allem dort, wo hohe Mietkosten in den Großstädten anfallen, wird es sicherlich nicht leicht sein, monatliche Fixkosten zu tragen.

Profitieren die zur IGBD gehörenden Gemeinden und Einrichtungen von den durch die Bundesregierung beschlossenen Hilfen, zum Beispiel vom Kurzarbeitergeld, von Kreditstundungen oder der Aussetzung von Mietzahlungen?

Travljanin: Seitens des Dachverbands wurden an die Gemeinden entsprechende Informationen über die aktuelle Lage weitergeleitet. Der Austausch ist rege und wird fortwährend geführt. Gleich am Anfang der Pandemie wurden die Mitgliedsgemeinden des IGBD umfangreich über notwendige Schritte zur Eindämmung der Verbreitung des Virus instruiert: zur Schließung der Gemeinderäume, zum Ausbleiben der Gebete und Versammlungen usw., aber auch über Wege, Kurzarbeitergeld und mögliche finanzielle Unterstützung in den Bundesländern und Kommunen anzufragen und diese zu nutzen.

Wie halten Sie während der Zeit, in der Freitagsgebete und andere Gemeindeveranstaltungen ausfallen müssen, den Kontakt zu den Gläubigen aufrecht? Werden Freitagsgebete zum Beispiel im Internet übertragen?

Travljanin: Jetzt erfahren wir die Vorteile der sozialen Netzwerke, wodurch in den meisten Fällen die Kommunikation mit den Gläubigen aufrechterhalten wird. Freitagsgebete können nicht über das Internet übertragen werden, jedoch andere Arten von Ansprachen, Appellen und Predigten. Unsere Imame nutzen diese Wege der Kommunikation und sind eine wichtige moralische Stütze in einer nie dagewesenen Situation. Vor allem freuen mich die Initiativen der nachbarschaftlichen Unterstützung, primär für ältere Mitbürger. Junge Leute gehen für sie einkaufen, engagieren sich ehrenamtlich und leisten ihren Beitrag. Möge die derzeitige Solidarität lange, über die Zeit der Pandemie hinaus, anhalten.