"Man kann inhaltlichen Diskursen nicht aus dem Weg gehen" , , Interview mit Eren Güvercin
Die Alhambra Gesellschaft, 2017 in Köln gegründet, widmet sich mit frischen Impulsen u.a. dem innermuslimischen Dialog. Das neue Alhambra-Format "MuslimDebate" wird auch im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz (DIK) gefördert. Ein Gespräch mit Alhambra-Mitbegründer und Beiratsmitglied Eren Güvercin.
Wer und was ist die Alhambra Gesellschaft e.V.?
Die Alhambra Gesellschaft ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Musliminnen und Muslime, die insbesondere jungen Muslimen ein breites Angebot im Bereich der politischen Bildung und der Kunst und Kultur machen. Wir wollen durch unsere verschiedenen Formate Inhalte aus einer deutsch-muslimischen Lebenswirklichkeit heraus erarbeiten.
Quelle: privat
Alhambra widmet sich auch sehr stark dem innermuslimischen Dialog, der Verständigung unter Musliminnen und Muslimen – in welchen Formaten, auf welche Weise wird das aktuell praktisch umgesetzt?
Wir versuchen in verschiedenen Formaten einen Beitrag sowohl für den innermuslimischen Dialog zu leisten, aber auch aufzuzeigen, was deutsche Muslime der Gesellschaft als Ganzes anzubieten haben. Mit dem wöchentlichen Format "Freitagsworte" setzen wir uns mit spirituellen Fragen und Glaubensfragen aus einer deutsch-muslimischen Lebensrealität heraus auseinander.
In unserem Veranstaltungsformat "Das Muslimische Quartett" geht es um gesellschaftliche Debatten, die wir als Muslime aufgreifen und mit eigenen Akzenten ergänzen. Auch im kulturellen und interreligiösen Bereich versuchen wir mit neuen Formaten und verschiedenen Kooperationspartnern neue Impulse zu setzen. Dazu gehört die Konzert- und Veranstaltungsreihe "Grenzgänge".
Unser neues Projekt "MuslimDebate" konzentriert sich dagegen darauf, eine neue muslimische Debattenkultur zu etablieren.
Was ist das Besondere an "MuslimDebate" und wie lautet Ihr erstes Resümee?
Das Besondere an "MuslimDebate" ist, dass wir in einer Reihe von öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen Themen innermuslimisch diskutieren wollen, vor denen wir als Muslime zu oft zurückschrecken. Dabei wollen wir mit der ganzen Breite der muslimischen Zivilgesellschaft ins Gespräch kommen, weil wir das Gefühl haben, dass auch innermuslimisch sehr viel übereinander statt miteinander diskutiert wird. Aufgrund der Corona-Einschränkungen konnten wir zwar die Präsenzveranstaltungen nicht wie geplant durchführen, aber wir haben uns als Projektteam sehr schnell auf diese neue Situation eingestellt. Wir haben kurzfristig eine "MuslimDebate"-Onlinereihe ins Leben gerufen. Das wurde sehr gut angenommen. Wir konnten durch diese Onlinereihe sogar weitaus mehr Menschen erreichen und auch im Livestream aktiv die Zuschauer in die Diskussion einbinden, als es über Präsenzveranstaltungen überhaupt möglich gewesen wäre. Diskutiert wurden aktuelle Themen wie z.B. die Auswirkungen der Corona-Einschränkungen auf die muslimischen Gemeinden, antischwarzer Rassismus unter Muslimen oder die Frage, was unter dem Politischen Islam zu verstehen ist.
Diejenigen, die den Livestream nicht mitverfolgen konnten, können die Videoauszeichnung der Onlinereihe auf YouTube finden. Die sehr große Resonanz darauf zeigt uns, dass es mehr solcher muslimischer Debattenforen braucht. Im Oktober wird aber auch unsere erste Präsenzveranstaltung stattfinden. Mit 25 Vertretern der muslimischen Zivilgesellschaft und Religionsgemeinschaften wollen wir uns mit dem Thema "Antisemitismus unter Muslimen" auseinandersetzen.
Gibt es Verbindungen und Anknüpfungspunkte zur Deutschen Islam Konferenz – und wie sehen die aus?
Natürlich werden uns bei "MuslimDebate" Themen, die bereits aus der Deutschen Islam Konferenz bekannt sind, beschäftigen. Aber darüber hinaus hat gerade die Auftaktveranstaltung der aktuellen DIK gezeigt, wie notwendig ein innermuslimischer Diskurs ist. Diesen notwendigen Diskurs werden wir versuchen im Rahmen von "MuslimDebate" weiter voranzubringen.
Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen den neu entstandenen muslimischen Initiativen und dem traditionell verbandlich organisierten Islam in Deutschland?
Die muslimische Community ist in einem Wandlungsprozess. Und jeder Wandlungsprozess bringt natürlich auch Reibungen mit sich. Das sehe ich aber als etwas Positives an. Neue muslimische Initiativen sind eine Herausforderung für alte Strukturen. Manche nehmen diese vielleicht auch als Konkurrenz wahr. Aber ich glaube, dass bestimmte inhaltliche Diskurse einfach geführt werden müssen. Man darf dies nicht persönlich oder als einen feindlich motivierten Schritt auffassen. Die muslimische Community heute ist nicht mehr die Community der 80er Jahre. Entweder man realisiert das und wird den aktuellen Herausforderungen gerecht, oder man versteift sich auf diesen alten Status. Nur wird man dies nicht bis in alle Ewigkeit aufrechterhalten können. Wir als Alhambra Gesellschaft versuchen Inhalte zu erarbeiten, um ein neues deutsch-muslimisches Selbstverständnis zu entwickeln. Jeder ist eingeladen, daran mitzuwirken und eigene Akzente auch in diesen Prozess mit einzubringen.
Was wünschen Sie, was wünscht man sich bei Alhambra mit Blick auf die innermuslimische Selbstverständigung in Deutschland?
Man kann inhaltlichen Diskursen nicht aus dem Weg gehen. Vielmehr müssen wir gemeinsam eine Debattenkultur entwickeln, um über Grundfragen der muslimischen Community insgesamt diskutieren zu können. Da stehen wir noch am Anfang, aber gerade junge Muslime, die sich als Bestandteil der deutschen Gesellschaft sehen, brauchen diese Räume, um ihre Zukunft in Deutschland mitzuprägen. Ein ehrlicher innermuslimischer Diskurs auf Augenhöhe muss möglich sein. Eine Diskursverweigerung, die bei bestimmten Akteuren zu sehen ist, führt am Ende in eine Sackgasse.