Bunte Vielfalt an Engagement: Moscheen für Integration , Datum: 13.01.2022, Format: Meldung, Bereich: Im Dialog

Moscheegemeinden sind mehr als Orte des Gebets und der religiösen Unterweisung. Sie leisten wichtige soziale und zivilgesellschaftliche Arbeit, die meist ehrenamtlich geschieht, aber in der Mehrheitsgesellschaft nur wenig sichtbar ist. Der Förderansatz "Moscheen für Integration – Öffnung, Vernetzung, Kooperation" will diese Anstrengungen stärken und die Gemeinden besser mit anderen Akteuren in den Kommunen zusammenbringen. Ob Jugendarbeit, Gesundheitsaufklärung, Anti-Rassismus-Arbeit, Kulturveranstaltung oder Berufsbildung: Die Ehrenamtlichen in den Moscheegemeinden treiben ganz unterschiedliche Fragen und Probleme um.

Die Ditib-Jugend in Hamm etwa hat sich während der Corona-Pandemie für bessere berufliche Perspektiven von jungen Menschen stark gemacht.

Portrait eines Mannes Der Student Enes Yasin Baldan engagiert sich für bessere berufliche Perspektiven von jungen Musliminnen und Muslimen. "Sicher haben auch junge Menschen aus der Mehrgesellschaft viele Fragen über ihre Zukunft", sagt er, "aber bei den jungen Muslimen kommen noch weitere Unsicherheiten dazu." Quelle: privat Baldan

"Viele junge Menschen, die vor dem Abitur stehen, sind sehr unentschlossen über ihren weiteren Bildungsweg", sagt Enes Yasin Baldan, ein Student der Medizin im vierten Semester, der sich ehrenamtlich in der Ditib-Jugend engagiert. "Sicher haben auch junge Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft viele Fragen über ihre Zukunft", sagt Baldan, "aber bei den jungen Muslimen kommen noch weitere Unsicherheiten dazu."

Viele muslimische Frauen beschäftigt etwa die Frage, ob sie wegen eines Kopftuchs mit Benachteiligung rechnen müssen. Auch manche jungen Männer befürchten wegen ihres muslimischen Hintergrunds bei der Jobsuche Schwierigkeiten. Die Ditib-Jugend hat diese Fragen aufgegriffen und während der Pandemie ein Online-Angebot zur Berufsorientierung gemacht, das gut angenommen wurde. Sie luden Verantwortliche der Stadt Hamm und der Arbeitsagentur zu einer Info-Veranstaltung über Zoom ein.

Im Gespräch konnten etliche Vorbehalte schnell ausgeräumt werden. So betonte etwa der Vertreter der Stadt Hamm, dass die Stadt in ihrer Einstellungspraxis gezielt auf Diversität setzt. "Zwei Interessenten mit deutsch klingenden Namen waren bei der Zoom-Veranstaltung auch dabei", meint Baldan. Bewusst hatten die Ehrenamtlichen von der Ditib-Jugend die Veranstaltung auch für junge Menschen außerhalb der Moscheegemeinde geöffnet und so auch ein Signal an die Mehrheitsgesellschaft gesendet. Von dem Ergebnis ermutigt, sind weitere Gespräche mit einzelnen Unternehmen aus der Region geplant.

Drängende Fragen haben auch junge Musliminnen und Muslime, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht in gesellschaftliche Normvorstellungen passt. In Köln kommen immer wieder queere junge Musliminnen und Muslime zu den Gemeindetreffen des Liberal-Islamischen Bundes e.V. (LIB) und berichten von Queerfeindlichkeit in Kombination mit anti-muslimischem Rassismus, die sie in der Gesellschaft und manchmal auch in der Familie erleben. Auch für manche Eltern von queeren Menschen führt ein Coming Out des Kindes nicht selten zu schmerzhaften Konflikten in Familie und Umfeld. Junge queere Musliminnen und Muslime berichten auch über den Spagat zwischen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität auf der einen Seite und dem Unverständnis der Eltern auf der anderen Seite. "Dann fallen Sätze wie: 'Ich habe meine Mutter seit sechs Jahren nicht gesehen' oder: 'Mein Bruder droht damit, mich umzubringen'. Diese jungen Menschen haben einen enormen Leidensdruck", sagt Odette Yilmaz, Erste Vorsitzende des LIB.

Im LIB finden queere Menschen einen geschützten Raum, in dem sie willkommen sind und wo sie ihre Religion ohne Vorbehalte leben können. Doch bei den Angehörigen ist das zum Teil anders. Manche von ihnen tun sich schwer im Umgang mit ihren queeren Kindern, weil sie deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht mit ihrem Glauben vereinbaren können.

So entstand die Idee zu einer Selbsthilfegruppe, in der sich Angehörige austauschen können. "Für die Angehörigen bedeutet es eine große Hürde, sich für dieses Thema zu öffnen," sagt Yilmaz. "Wir möchten für sie einen Ort schaffen, an dem sie sich - professionell begleitet - austauschen und gemeinsam lernen können, dass LGBTQIA+ und Islam nicht im Widerspruch zueinander stehen," sagt Yilmaz.

Die geplante Selbsthilfegruppe beim LIB in Köln sei ein gutes Beispiel für die Arbeit im Förderansatz, sagt Projektleiterin Israa El Fil vom Goethe-Institut. Das deutsche Kulturinstitut ist einer von vier Projektträgern im Förderansatz "Moscheen für Integration" und arbeitet an den Standorten Reutlingen, Augsburg, Nürnberg, Hannover, Essen, Hamm, Köln, Stuttgart und Ingolstadt mit einem breiten Spektrum von ethnisch und konfessionell unterschiedlichen Moscheegemeinden und islamischen Kulturvereinen zusammen.

In Köln konnte das Goethe-Institut einen Kontakt zum Paritätischen Wohlfahrtsverband herstellen, der über langjährige Erfahrungen mit Selbsthilfe-Netzwerken verfügt und nun den Aufbau der Selbsthilfegruppe für Angehörige queerer Musliminnen und Muslime beratend unterstützt.

Genau das ist die Idee des Projekts, sagt El Fil. "Aus den Moscheegemeinden kommen tolle Ideen, aber manchmal hakt es bei der Umsetzung." Das Goethe-Institut könne dann dabei helfen, aus einer Idee ein Projekt zu machen, "indem wir Akteure vernetzen und Kontakte herstellen." In die Auswahl der Themen mische sich das Goethe-Institut jedoch nicht ein, denn in jeder Moscheegemeinde stünden andere Fragen im Fokus. Das bestätigt auch der Student Enes Yasin Baldan von der Ditib-Jugend in Hamm. Er betont den großen Gewinn für seine Ideen. "Die Kooperation mit dem Goethe-Institut gibt unserem Vorhaben Rückenwind," sagt er. "Wir wirken dadurch seriöser und werden von unseren Kooperationspartnern ernster genommen."

Claudia Mende