Rede des Staatssekretärs Dr. Markus Kerber anlässlich der Festveranstaltung beim Islamkolleg Deutschland ,
Sehr geehrter, lieber Herr Bundespräsident a.D. Wulff, sehr geehrter lieber Herr Minister Thümler, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Griesert, sehr geehrte Frau Universitätspräsidentin Menzel-Riedl, sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Niedersächsischen Landtags, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften, vor allem sehr geehrter Herr Begic und sehr geehrter Herr Professor Ucar, liebe Kollegiatinnen und Kollegiaten, meine Damen und Herren,
Heute ist ein historischer Tag in einer historischen Stadt, die viel zu tun hat mit dem Religionsverfassungsrecht unseres Landes. Wir kommen hier anlässlich des Beginns der praktischen Ausbildung des Islamkollegs Deutschland zusammen. Das wir dies hier und heute tun können, ist das Resultat eines lang währenden, hartnäckigen Strebens verschiedener Personen und Einrichtungen, allen voran ein Ergebnis Ihres Engagements, Herr Professor Ucar.
Mehr als zehn Jahre ist es her, dass die Deutsche Islam Konferenz ihre ersten Empfehlungen veröffentlichte. Damals haben wir gemeinsam festgestellt, dass es einer Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden in Deutschland bedarf. Denn eine Religion wird nur dann ihren selbstverständlichen Platz – ihre Heimat – in einem Land, in einer Gesellschaft finden, wenn ihre geistigen Autoritäten, wenn ihre Sinnstiftung und Wissensproduktion in einem Bezug stehen zu den Realitäten und Lebensgewohnheiten des Landes, in dem ihre Angehörigen auch leben. Eine in Deutschland heimische – und das heißt auch: eine vom Ausland unabhängige – Selbstorganisation islamischer Gemeinschaften in Deutschland umfasst als einen ihrer zentralen Pfeiler die Ausbildung und den Einsatz des eigenen Personals.
Ich möchte an dieser Stelle nicht den gesamten Weg nachzeichnen, aber es war schon ein großer Erfolg, dass es im Anschluss an die Empfehlungen der DIK zügig gelang, zusammen mit den Ländern und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Studienfach "Islamische Theologie" in der deutschen Universitätslandschaft zu verankern. In erster Linie ging es dabei um die Ausbildung von islamischen Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Aber natürlich bestand auch die Erwartung, dass die universitären Zentren und Institute für islamische Theologie Absolventinnen und Absolventen hervorbringen, die später in den islamischen Gemeinden tätig werden. Sei es als Imam oder Gemeindepädagogin, als Prediger oder Seelsorgerin.
Aber schon damals, im Rahmen der von Ihnen, Herr Prof. Ucar, hier in Osnabrück organisierten Konferenz zur Imamausbildung in Europa wurde deutlich, dass es neben der akademischen Ausbildung noch einer anschließenden praktischen Ausbildung bedarf. Die Konferenz wurde seinerzeit vom BMI und vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert. Dass wir heute, etwa zehn Jahre später erneut in dieser Konstellation zusammen agieren, zeigt einmal mehr, welch langer Atem manchmal nötig ist, um Empfehlungen auch wirklich in die Tat umzusetzen.
Und es hat sich gelohnt. Wir begehen heute mit dem Beginn einer wissenschaftlich fundierten, verbands- und herkunftsübergreifenden deutschsprachigen Ausbildung islamischen religiösen Personals in Deutschland einen historischen Tag. Es geht um nichts weniger als die religiöse Beheimatung der vielen deutschen muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und den Beitrag dieser Menschen für unser Land. Diesen Weg gehen wir gemeinsam.
Schon im Rahmen der letztjährigen DIK hat Bundesminister Seehofer die Gründung und das Modellprojekt des Islamkollegs als einen herausragenden Schritt bewertet. Dem schließe ich mich aus ganzem Herzen an. Das Ausbildungsprogramm des Islamkollegs ist selbstbewusst deutsch und islamisch im Sinne eines Islams, eines muslimischen Lebens, das in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, das die Werte unseres Grundgesetzes teilt und wahrt.
Das BMI hat die Gründung des Islamkollegs vor eineinhalb Jahren öffentlich begrüßt und frühzeitig Unterstützung signalisiert. Mittlerweile fördert mein Haus aus Mitteln der Deutschen Islam Konferenz in nicht unerheblichem Maße die Konzeptionsphase der Ausbildung sowie daran anschließend die nun beginnende Umsetzungsphase als Modellprojekt. Ich freue mich, dass Niedersachsen das Projekt kofinanziert und ich möchte Ihnen, Herr Minister Thümler, für die enge und gute Kooperation der letzten Zeit herzlich danken. Im Februar 2019 haben wir uns getroffen und bei einem Kaffee beschlossen, dass wir es nicht bei Reden belassen, sondern praktisch vorankommen wollen.
Da es sich um die Ausbildung religiösen Personals handelt, möchte ich klar betonen, dass trotz staatlicher Förderung das religiöse Selbstbestimmungsrecht gewährleistet ist und bleibt. Hier mischt sich der Staat nicht ein, achtet jedoch auf den freiheitlichen demokratischen Rahmen. Diese Art von Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ermöglicht unser Religionsverfassungsrecht. Und daher ist es auch wichtig, dass religiöse Dachverbände von Moscheegemeinden unmittelbar in dem Verein und dem Projekt mitwirken. Ich danke auch Ihnen, den hier anwesenden Vertreterinnen und Vertretern islamischer Gemeinden, für Ihre Bereitschaft, für Ihren Mut, diesen Weg mitzugehen. Ich weiß, das war und ist nicht selbstverständlich.
Und lassen Sie mich noch hinzufügen: Mir ist es lieber, der deutsche Staat fördert solche Projekte als etwa ausländische Staaten, die diese Strukturen dann für ihre politischen Ziele nutzen und möglicherweise unguten Einfluss nehmen könnten. Aber der Staat fördert auch, weil wir so den Anspruch unserer muslimischen Bürgerinnen und Bürgern unterstützen, eigene und unabhängige Strukturen aufzubauen. Das sage ich übrigens auch mit Blick auf die Muslime in Deutschland, die seit 2015 neu eingewandert sind. Wenn wir die Anliegen der Muslime in Deutschland – und zwar aus guten Gründen – nicht den Herkunftsländern oder anderen Drittstaaten überlassen wollen, müssen wir – der deutsche Staat und die deutschen Muslime gemeinsam – aktiv werden. Und dass das funktioniert, zeigen wir heute.
Meine Damen und Herren,
dass das Zusammenleben verschiedener Religionen oder Weltanschauungen in einer Gesellschaft nicht nur Bereicherung, sondern auch Konflikt bedeuten kann, zeigen uns nicht zuletzt die Erfahrungen aus dem Dreißigjährigen Krieg, der – zusammen mit Münster – hier in Osnabrück mit einer wegweisenden Friedenskonferenz unter dem Motto pax optima rerum sein Ende fand. Eine der religionspolitischen Lehren, die aus diesem Krieg gezogen und im Westfälischen Frieden festgeschrieben wurden – im Übrigen auch gegen den Widerstand von außen – ist die Gleichstellung der am Friedensvertrag beteiligten Konfessionen im damaligen Deutschen Reich.
Diese Lehren, meine Damen und Herren, wirken bis heute, bis hin zu unserem freiheitlichen und säkularen Religionsverfassungsrecht fort. Der von der Aufklärung geprägte Anspruch auf Gleichstellung – im Sinne von gleichen Rechten und Pflichten – in unserer heutigen, weltanschaulich und religiös neutralen Verfassung umfasst selbstverständlich nicht mehr nur die Kirchen, sondern alle Konfessionen und Religionsgemeinschaften.
Den Anspruch auf Gleichstellung auch in Bezug auf die muslimischen Gemeinschaften in Deutschland in die Lebenswirklichkeit umzusetzen, ist aktuell eine der zentralen religions- und integrationspolitischen, in einem weiteren Sinne auch heimatpolitischen Aufgaben. Es geht dabei um die Integration der islamischen Gemeinschaften in das von Kooperation geprägte Gefüge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in Deutschland, sozusagen um das Einweben einer nach historischen Maßstäben erst seit kurzem präsenten Religion in das Band, das Staat und Religionsgemeinschaften in unserem Land verbindet.
Das betrifft zugleich die gesamte Gesellschaft. Soziale Verbundenheit oder auch gesellschaftlicher Zusammenhalt sind dabei keine Selbstverständlichkeit, sondern müssen immer wieder und gegen viele Widerstände neu erarbeitet werden. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration sind ein Kernanliegen meines Hauses.
Damit die Reibungen und Konflikte, die natürlicherweise in diesen Prozessen der Integration des Islams in Deutschland entstehen, nicht zu Polarisierung oder gar zu Gewalt führen, bedarf es demokratischer Aushandlungsprozesse. Mit der Deutschen Islam Konferenz haben wir hierfür den Rahmen geschaffen.
Die Islamkonferenz, meine Damen und Herren, und das macht sie in meinen Augen auch so einzigartig, ist keine staatliche Top-Down-Maßnahme. Sie ist vielmehr ein Forum für den Dialog zwischen Staat – und zwar Bund, Länder und Kommunen – sowie Muslimen in Deutschland, um kritisch, aber konstruktiv Probleme anzusprechen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen und um diese Lösungen dann auch umzusetzen. Das war die Vorgabe von Wolfgang Schäuble schon im Jahr 2006.
Die Prozesse der Aushandlung und der Integration verlaufen nicht geradlinig, sie sind von Fortschritten und von Rückschlägen gekennzeichnet. Das kennen wir, das wissen wir. Aber der heutige Tag zeigt, dass Beharrlichkeit, dass Hartnäckigkeit, dass der Mut zu neuen Wegen auch Früchte trägt. Erst Dialog, dann Initiative und schließlich Kooperation – auch dafür stehen die Buchstaben D I K.
Sie, die Verantwortlichen und die Mitglieder des Islamkollegs Deutschland – Wissenschaftler und Dachverbände islamischer Gemeinden – und natürlich auch Sie, die Kollegiatinnen und Kollegiaten, haben sich entschieden, Verantwortung zu übernehmen – für die Muslime in Deutschland, für unser Gemeinwesen, für unsere Heimat. Dafür danke ich Ihnen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, ja und Gottes Segen auf diesem neuen Weg.