Rede des Bundesinnenministers zur Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden (Imamausbildung) , , Imamausbildung in Deutschland erweitern, Abhängigkeiten aus dem Ausland vermindern
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, dass Sie dem Livestream der Deutschen Islam Konferenz zugeschaltet sind.
Aktiv zugeschaltet sind mir auch muslimische Bürgerinnen und Bürger an sechs Standorten in Deutschland. Mit ihnen werde ich mich über den Stand der Imamausbildung austauschen. Dieses Gespräch wird – ganz im Sinne der Konzeption als Dialogforum – ein nichtöffentlicher Austausch sein: offen, konstruktiv und kritisch.
Zunächst möchte ich aber die Gelegenheit nutzen und mich öffentlich zum Stand der Deutschen Islam Konferenz und zu einem ihrer Kernthemen in dieser Legislaturperiode äußern: der Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden in Deutschland.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bei den islamischen Dachverbänden bedanken. Sie sind seit Beginn der Corona-Beschränkungen verlässliche Partner, wie übrigens auch die Kirchen und der Zentralrat der Juden. Die Abstimmungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften waren stets konstruktiv, so dass nach Erarbeitung der erforderlichen Hygienekonzepte schon bald Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen wieder möglich wurden. Auch und gerade in der Krise kommt es darauf an, zusammen zu stehen – trotz religiöser und weltanschaulicher Unterschiede.
Diese konstruktive Haltung kennzeichnet auch unsere Gespräche hier in bei der Deutschen Islam Konferenz. Trotz Unterschieden in der Bewertung einzelner Sachfragen merkt man, dass es uns allen um unser gemeinsames, friedvolles Zusammenleben in unserem Land geht. Wenn ich "gemeinsam" sage, dann bedeutet das für mich auch, dass wir denjenigen zusammen entgegentreten, die unser Land spalten wollen, dass wir vereint sind im Kampf gegen Rassismus und Intoleranz ebenso wie gegen rechten, linken und islamistischen Extremismus.
So haben mich, so haben uns die feigen Morde von Dresden, Paris, Nizza und Wien in den letzten Wochen tief erschüttert.
Die Bedrohung durch den Islamismus ist evident und aktuell. Wenn ein Lehrer dafür, dass er seinen Schülern eines unserer wichtigsten Grundrechte, die Meinungs- und Pressefreiheit, nahezubringen versucht, Opfer einer solch abscheulichen Gewalttat wird, so ist dies unerträglich. Dies fordert uns Europäer insgesamt heraus, gemeinsam für unsere freiheitlichen demokratischen Grundrechte und unsere Grundwerte zu kämpfen.
Wenn solche Taten ausdrücklich im Namen des Islam geschehen, dann sind aber auch muslimische Autoritäten und Stimmen von Gewicht in Deutschland gefragt. Terror und Gewalt im Namen einer Religion sind politische Taten. Die Täter und ihre Unterstützer löschen nicht nur das Leben von Menschen aus. Sie bedrohen die Grundfesten unseres Zusammenlebens. Sie bedrohen unsere Art zu leben. Und sie bedrohen das friedliche Zusammenleben der Religionen. Sie wollen unsere offene Gesellschaft zerstören.
Der Staat geht auf allen Ebenen gegen den islamistischen Terror vor: mit repressiven Mitteln, mit präventiven Mitteln, mit polizeilichen Mitteln, mit Überwachungsmaßnahmen, mit Integrationsmaßnahmen und mit Abschiebungen. Ich appelliere an einem Tag, an dem die Imamausbildung in Deutschland im Mittelpunkt steht, an die Imame und anderen Autoritäten der deutschen Muslime: kämpfen Sie gemeinsam mit uns und mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Fanatiker.
Der Kampf gegen Extremisten muss an allen Fronten geführt werden. Dies gilt selbstverständlich auch für den Kampf gegen Rechtsextremisten und Rassisten, die die Gesellschaft spalten wollen, indem sie Hass und Gewalt säen. Im September habe ich im Schloss Bellevue die Familien der Opfer von Hanau getroffen. Es waren bewegende Gespräche, die mir sehr nahegingen.
Die Bundesregierung handelt entschieden gegen alle Formen des Extremismus und der politisch motivierten Gewalt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Einrichtung des seit September arbeitenden Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit ansprechen. Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal klar sagen:
Muslimfeindliche Einstellungen, die sich auch in offenem Hass und Gewalttaten äußern, sind eine Bedrohung für Muslime wie auch für den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land insgesamt!
Ohne die Arbeit der Deutschen Islam Konferenz hätte der Expertenkreis nicht so zügig eingerichtet werden können.
Eine der Aufgaben des Expertenkreises wird es sein, eine Trennlinie zwischen Religions- und Islamkritik, die in einer säkularen demokratischen Gesellschaft möglich sind und möglich bleiben, sowie Muslimfeindlichkeit als Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu ziehen. Die Morde in Dresden und bei Paris führen es wieder vor Augen: Vielfalt in Freiheit, darum geht es.
Dieser Herausforderung stellen wir uns in der Deutschen Islam Konferenz.
Zum Auftakt der Islamkonferenz in dieser Legislaturperiode hatte ich meine Leitfrage folgendermaßen formuliert: "Wie können wir einen Islam in Deutschland fördern, der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, die Werte unseres Grundgesetzes teilt und die Lebensarten dieses Landes achtet – einen Islam in, aus und für Deutschland, einen Islam der deutschen Muslime?"
Ein ganz maßgeblicher Teil der Antwort auf diese Frage ist die Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden, kurz Imamausbildung, in Deutschland und in deutscher Sprache. Es war und ist das Kernanliegen der DIK in dieser Legislaturperiode, eine praktische Imamausbildung in Deutschland zu befördern und zugleich Alternativen zu bestehenden personellen und finanziellen Abhängigkeiten und Einflussnahmen aus dem Ausland zu schaffen.
Das Thema ist nicht neu. Die Grundlage für dieses gemeinsame Bestreben sind die Empfehlungen der Islamkonferenz aus dem Jahr 2009. Nach über zehn Jahren und der erfolgreichen Etablierung von islamischer Theologie an öffentlichen Hochschulen galt es nun, gemeinsam zu erörtern, wie die praktische religiöse Ausbildung im Anschluss an ein theologisches Studium befördert werden kann. Jedoch, und das ist mir wichtig, sollte es nicht bei unverbindlichen Erörterungen bleiben. Es geht in dieser vierten Phase der Deutschen Islam Konferenz auch darum, das Besprochene tatsächlich umzusetzen, es geht um praktische Fortschritte. Es geht um die Beheimatung religiöser und kultureller Bestandteile im Leben der deutschen muslimischen Bürger und Bürgerinnen im Rahmen der deutschen Verfassungsordnung und kulturellen Gepflogenheiten.
Dabei ist immer zu berücksichtigen: Die Ausbildung von geistlichem Personal aller Religionen ist eine Angelegenheit der religiösen Gemeinschaften selbst. Die Gewährung dieses Selbstbestimmungsrechts ist die eine Seite des deutschen Religionsverfassungsrechts, der Anspruch des Staates auf die Bewahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die religiösen Gemeinschaften die andere Seite. Es bestand in den bisherigen Diskussionen und Veranstaltungen der DIK zu diesem Thema auch sehr schnell Einigkeit, dass die DIK kein einheitliches, kein zentrales Ausbildungsmodell anstreben solle oder könne. Dies würde nicht nur dem Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden widersprechen, sondern entspräche auch nicht ihrer Diversität und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen.
Insofern lag es nahe, zunächst eine Bestandsaufnahme zu Ausbildungsangeboten und den diesbezüglichen Erwartungen durchzuführen. Ich danke dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dafür, dass diese Bestandsaufnahme für die heutige Veranstaltung in einer aktualisierten Form vorliegt und auch auf der Internetseite der DIK veröffentlicht ist. Denn anders, als es die öffentliche Debatte vermuten lässt, bilden einige der islamischen Dachverbände bereits seit längerer Zeit eigenständig ihr Personal aus. Beispielhaft sei hier der "Verband der islamischen Kulturzentren" genannt, dessen Dialogbeauftragter heute zugeschaltet ist. Verbände wie der VIKZ zeigen, dass da, wo ein Wille ist, auch Wege gefunden wurden, die selbständige Ausbildung des eigenen religiösen Personals zu ermöglichen.
Seit dem Auftakt der Islamkonferenz in dieser Legislaturperiode gab es zwei Entwicklungen, die wichtige Fortschritte auf dem Gebiet der praktischen deutschsprachigen Ausbildung religiösen Personals darstellen,
- die eine betrifft die Türkisch-Islamische Union, DITIB,
- die andere das Osnabrücker "Islamkolleg Deutschland", einen 2019 gegründeten Zusammenschluss von islamischen Theologen und Dachverbänden.
Im Januar 2020 hat DITIB, als der größte Dachverband islamischer Gemeinden in Deutschland, mit der praktischen Ausbildung religiösen Personals – also von Imamen, aber zum Beispiel auch Gemeindepädagoginnen – begonnen. Indem DITIB die Ausbildung des eigenen religiösen Personals nun selbst in die Hand nimmt – und zwar in Deutschland und auf Deutsch – wird eine Alternative zu der Entsendung von Imamen aus der Türkei geschaffen.
Die Entsendung von religiösem Personal aus den jeweiligen Herkunftsländern war, solange es keine Ausbildungsmöglichkeiten für Imame in Deutschland gab, zweifellos wichtig, um den Bedarf an religiös qualifiziertem Personal in unserem Land zu decken. Nach mehr als 30 Jahren des Bestehens von DITIB-Gemeinden in Deutschland ist dies jedoch – gerade auch aus Sicht vieler Muslime der zweiten und dritten Generation – nicht mehr zeitgemäß.
Ich begrüße diesen Schritt sehr, für den sich mein Haus auch in vielen Gesprächen in der Türkei eingesetzt hat. Gerade diese Gespräche in der Türkei zeigen auch, dass die Imamausbildung von DITIB in Deutschland einen wichtigen, aber zugleich auch nur einen ersten Schritt darstellt. Weitere, sich daran anschließende Fragen sind noch nicht geklärt, zum Beispiel die Finanzierung der künftigen Imame in den Gemeinden oder die Abhängigkeit von DITIB gegenüber staatlichen Stellen der Türkei. Mein Haus erkennt auch innerhalb von DITIB eine neue, selbstbewusste Generation an Persönlichkeiten, die einen Weg hin zu einer stärkeren autonomen Entwicklung des Verbands als deutsche Vertretung der deutschen Muslime anstrebt.
Selbstbewusst deutsch und islamisch ist auch die zweite Entwicklung, die ich ansprechen möchte: das Modellprojekt des Vereins "Islamkolleg Deutschland". In diesem Verein haben sich Ende letzten Jahres islamische Theologen der Universität Osnabrück sowie Dachverbände von Moscheegemeinden in Deutschland zusammengeschlossen mit dem Ziel, ein bundesweites praktisches Aus- und Fortbildungsprogramm für Imame und religiöses Personal auf Deutsch zu entwickeln und umzusetzen. Ich betrachte die Gründung des Islamkollegs ebenfalls als einen herausragenden wichtigen und richtigen Schritt, da es insbesondere diejenigen Dachverbände umfasst, die für die Entwicklung und Umsetzung einer eigenständigen Ausbildung nicht ausreichend Mittel zur Verfügung haben, sei es aufgrund ihrer Größe oder ihrer Mitgliederstruktur. Und es ist eine Initiative, die bewusst auf Unterstützung aus dem Ausland verzichtet, weil man den Beweis antreten wollte, auf eigenen Beinen stehen zu können!
Das BMI hat die Gründung des Islamkollegs begrüßt und Unterstützung signalisiert. Mittlerweile fördert mein Haus die Konzeptionsphase der Ausbildung sowie daran anschließend eine erste Umsetzungsphase als Modellprojekt. Da es sich um die Ausbildung religiösen Personals handelt, möchte ich betonen, dass trotz staatlicher Förderung das religiöse Selbstbestimmungsrecht gewährleistet ist und bleibt. Hier mischt sich der Staat nicht ein, achtet jedoch auf den freiheitlichen demokratischen Rahmen. Diese Art von Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ermöglicht unser Religionsverfassungsrecht auf in Europa einzigartige Weise. Und daher ist es auch wichtig, dass religiöse Dachverbände von Moscheegemeinden unmittelbar in dem Verein und dem Projekt mitwirken. Und lassen Sie mich noch hinzufügen: Mir ist es lieber, der deutsche Staat fördert dieses Projekt als etwa ausländische Staaten, die diese Strukturen dann für ihre politischen Ziele nutzen und unguten Einfluss nehmen könnten.
Meine Damen und Herren,
dies sind gute Nachrichten für die Muslime in Deutschland und vor allem für die Muslime, die in Moscheen ihre Religion praktizieren. Die Fortschritte der letzten beiden Jahre stimmen mich zuversichtlich, dass künftig ein weitaus größerer Teil des islamischen Kultus‘ in Deutschland stärker der Lebenswirklichkeit der hier lebenden Muslime entsprechen wird. Dass in Deutschland aufgewachsene und ausgebildete Menschen, dass deutsche Muslime theologisch und praktisch qualifiziert in den Moscheen ihren Dienst tun, ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass die Gemeinden, ihre Mitglieder und Angehörigen, und damit auch ihre Religion heimischer in Deutschland werden.
Ich sehe es ausdrücklich auch positiv, dass zum Erreichen dieses gemeinsamen Ziels durchaus unterschiedliche Wege gewählt und beschritten werden. Denn es bedarf, und das ist auch Konsens innerhalb der Deutschen Islam Konferenz, verschiedener Ansätze, die den jeweils eigenen Bedürfnissen der Gemeinden entsprechen.
Wie auch immer die jeweiligen Ansätze aussehen: Ich möchte dafür werben, dass den unterschiedlichen Bemühungen und ihren Akteuren mit Respekt begegnet wird und nicht der eine Ansatz gegen den anderen ausgespielt wird.
Wir schließen heute das Thema Ausbildung auch nicht ab. Es ist ein dickes Brett, an dem auch in Zukunft weitergebohrt wird. So steht als nächstes zum Beispiel die staatliche Anerkennung der Ausbildungsgänge für Imame auf dem Programm. Denn wenn öffentlich gefordert wird, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden sollen, dann muss auch die Bereitschaft staatlicherseits bestehen, die entsprechenden Ausbildungsgänge – wenn sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllen – anzuerkennen.
Zugleich müssen wir weiter an den Rahmenbedingungen arbeiten, um die positiven Entwicklungen in Deutschland weiter zu befördern. Dazu gehört zum Beispiel, dass Imame, die aus dem Ausland kommen, wie auch Geistliche anderer Religionsgemeinschaften, nun schon vor ihrer Einreise nach Deutschland deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen. Diese Regelung ist seit Oktober dieses Jahres in Kraft und wird dabei helfen, die Einreise von Geistlichen, die mit der Geschichte und den Gebräuchen Deutschlands vertraut sind, besser steuern zu können.
Meine Erwartung geht aber noch weiter und schließt ein, dass vor allem die Türkei von nun an Schritt für Schritt die Zahl der nach Deutschland entsendeten Imame reduziert. Wir werden diesen Prozess eng begleiten und tauschen uns hier auch mit unseren europäischen Partnern intensiv aus, denn ich sehe, dass zum Beispiel Frankreich, Österreich oder auch die Niederlande ganz ähnliche Ziele verfolgen. Wenn Europa zur Heimat muslimischer Bürger und Bürgerinnen geworden ist, dann bedarf es keiner Einmischung und Einflussnahme von außen mehr. Wir sorgen für UNSERE muslimischen Bürger und Bürgerinnen selbst.
Meine Damen und Herren,
die Deutsche Islam Konferenz, so wie wir sie in dieser Legislaturperiode angelegt und ausgerichtet haben, hat sich bewährt und praktische Ergebnisse erzielt. Das ist gut für die Muslime in Deutschland, das ist gut für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das ist gut für Deutschland, unsere gemeinsame Heimat.
Ich danke allen, die daran mitwirken und mitgewirkt haben, denn ohne das Engagement gerade auch der muslimischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wären diese Fortschritte nicht möglich gewesen. Ihr Engagement ist die Antwort auf den dumpfen, bestialischen islamistischen Terrorismus: Sie bereichern die demokratische Gesellschaft durch ihr Tun und ihr Streben nach Teilhabe und eigene Beiträge. Sie wollen diese Gesellschaft und dieses Land stärken statt mit Gewehren und Messern zu morden. Ob ein Lehrer in Paris oder ein Professor an der Universität in Kabul ermordet wird, es geht immer um die Freiheit des Menschen.
In diesem Sinne freue ich mich auf die sich jetzt anschließenden Gespräche.
Ich danke Ihnen.