Beschneidung von Jungen - unter der Gürtellinie , Datum: 16.11.2012, Format: Artikel

Körperverletzung oder religiöse Pflicht? Auch nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung tobt die Debatte über religiöse Zirkumzision von Kindern weiter. Junge muslimische Männer erzählen von ihrer eigenen Beschneidung und was sie von der neuen Regelung halten.

"Maşallah – Gott will es so", steht in bestickten Buchstaben auf der Schärpe, die Firat auf seiner Brust trägt. Wie ein kleiner Pascha sitzt er auf dem gold-geschmückten Sessel. Dazu trägt er einen blau-goldenen Turban und eine Robe aus Satin. Sein Aufzug erinnert an den Zeichentrickfilmhelden Aladin und sein federgeschmückter Stab macht ihn besonders Stolz. "Guck mal hier, das ist mein Sünnet-Stab, hast du auch so etwas?", ruft er zu den anderen Jungen, die ihn zur ohrenbetäubenden türkischen Musik umkreisen.

Sünnet ist das türkische Wort für Beschneidung.Wochenlang haben sich Firats Eltern und Verwandte auf diesen besonderen Tag vorbereitet. Neben der Hochzeitsfeier ist die Beschneidung das größte gesellschaftliche Ereignis im Leben eines türkischen Mannes. Und ab heute darf sich auch Firat ein Mann nennen. "Ich würde mich freuen, wenn ihr mit mir den ersten Schritt in die Männlichkeit feiert", so steht es jedenfalls auf seiner Einladungskarte.

Bis spät in die frühen Morgenstunden wird die Beschneidung des 8-jährigen Grundschülers gefeiert. Die Beschneidung ist aber weitaus mehr als eine ausgelassene Familienfeier, sie trägt auch eine besondere religiöse Bedeutung. Dabei orientieren sich die Muslime am Vorbild der biblischen Propheten, die nach der koranischen Überlieferung alle beschnitten waren. Eine Altersvorgabe gibt es nicht, dennoch wird in der Regel vor Beginn der Pubertät beschnitten, genauso wie bei Firat.

Beschneidungen müssen von Fachärzten durchgeführt werden, nicht von Friseuren

"Eine Beschneidungsfeier hatte ich nicht", gibt der 22-jährige Cihangir B. zu. Seine Eltern hätten das "irgendwie verplant", aber das fände er nicht tragisch. Es sei ja auch eher eine kulturelle Angelegenheit und keine religiöse Pflicht so etwas zu feiern. Der junge Student verfolgt die Beschneidungsdebatte von Anfang an sehr genau: "Ich finde es gut, dass endlich einmal die medizinischen Standards als gesetzliche Verpflichtung gelten. Das ist keine Operation, die der Friseur von nebenan durchführen kann."

Zustimmend nickt sein Freund Rainer B. zu. Er sei schon vor seiner Konversion zum Islam aus rein medizinischen Gründen beschnitten worden: "Natürlich habe ich auch bei meinem eigenen Sohn sehr darauf geachtet, dass ein Facharzt die Beschneidung vornimmt", erklärt der 30-jährige Erzieher und Vater von zwei Söhnen. Regelmäßig üben die beiden Freunde gemeinsam mit Menschen aller Konfessionen und Glaubensrichtungen das Derwisch-Drehen im Berliner Sufi-Zentrum "Rabbaniyya".

Auch Arman K. befürwortet den neuen Gesetzesentwurf: "Die Beschneidung ist ein Teil von mir und es freut mich, dass meine Bundesregierung dies respektiert". Der 21-jährige angehende Polizeikommissar hat sich intensiv mit den juristischen Hintergründen des Kölner Urteils auseinandergesetzt und ist gespaltener Meinung: "Der Einzelfall, auf dessen Grundlage das Urteil gefällt wurde, stellt unumstritten eine Körperverletzung dar. Aber man muss wirklich vorsichtig sein, denn sonst greift man in die Religionsfreiheit der Bürger ein." Er selbst erinnert sich nur flüchtig an seine eigene Bescheidung: "Meine Mutter erlaubte mir plötzlich alles und ich durfte tonnenweise Cola trinken, was vorher immer verboten war."

Cihangir B., Rainer B. und Arman K. sind sich einig: Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung schafft ihrer Meinung nach Klarheit und war wichtig. Doch weder in ihren Familien noch in ihrem Freundeskreis wurde ausgiebig darüber diskutiert. Zeigen die betroffenen Muslime einfach kein Interesse, weil die angestoßene Diskussion ihre Lebenswirklichkeit nicht berührt, oder scheuen sie aus Furcht vor altbekannten Vorurteilen die konfliktgeladene Debatte?

"Man darf uns nicht das Grundrecht beschneiden"

Der Pressesprecher des Sufi-Zentrums, Metin Arikan, meint die Antwort zu kennen. Er ist überzeugt davon, dass die Beschneidung ein von Gott gewolltes Kennzeichen des Mannes an sich sei und der Staat sich nicht in solcherlei religiöse Angelegenheiten einmischen solle. "Man darf uns nicht das Grundrecht beschneiden", führt er mit einem sarkastischen Wortspiel aus. Der Mann mit dem roten Tarbusch, einer traditionellen, osmanischen Kopfbedeckung, ist aufgebracht. Er empfindet die gesamte Debatte als einen persönlichen Angriff: "Ich freue mich, dass wir nun zumindest unter der Gürtellinie angekommen sind, vielleicht schafft man es ja auch noch, etwas höher zu kommen". Dem 37-Jährigen spricht die Enttäuschung aus den Augen: "Den Gläubigen wird unterstellt, dass sie nicht auf das Wohl ihrer eigenen Kinder bedacht sind, sondern bloß an ihren Glauben denken". Auch er habe einen Sohn und natürlich achte ein Vater darauf, wer die Beschneidung vornehme und ob die hygienischen Standards eingehalten werden. Sauberkeit sei doch ein Grundpfeiler des Islam. Arikan fühlt sich unverstanden.

Deutsche Muslime bewerten die Debatte um die religiöse Zirkumzision und den daraus resultierenden Gesetzesentwurf also mit zwiespältigen Gefühlen. Viele sind sich einig, dass medizinische Standards das A und O einer korrekten Beschneidung sind. Dennoch empfinden sie sich in ihren religiösen Freiheiten eingeschränkt und übergangen. Einbeziehung in öffentliche Debatten, vor allem in jene, die sie selbst betreffen, sind scheinbar noch immer die Ausnahme. Der frisch beschnittene 8-jährige Firat jedenfalls ahnt nichts über die Diskussion um seine Vorhaut. Er wirbelt weiterhin lässig seinen Sünnet-Stab und freut sich auf seine Beschneidungsgeschenke – fast so wie an Weihnachten.

von Sümeyye Celikkaya