Generelles Kopftuchverbot verfassungswidrig – Wie reagieren die Länder? ,
Am 13. März 2015 wurde der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verkündet, der ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen als verfassungswidrig erklärt (hier der vollständige Beschluss). Ein solches Verbot ist nicht mit der Glaubensfreiheit von Pädagoginnen vereinbar, wie im Grundgesetz Artikel 4 Absatz 1 und 2 verankert. Der Beschluss ging zurück auf eine Verfassungsbeschwerde zweier muslimischer Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen (NRW). Ihnen wurden arbeitsrechtliche Sanktionen auferlegt, weil sie der Aufforderung, das Kopftuch beziehungsweise eine stattdessen getragene Wollmütze im Unterricht abzulegen, nicht nachkamen. Rechtliche Grundlage der Sanktionen war unter anderem § 57 Absatz 4 des nordrhein-westfälischen Landesschulgesetzes (lesen Sie hier die gesetzlichen Regelungen der einzelnen Länder).
NRW ändert sein Schulgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass nur eine hinreichend konkrete Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität zum Anlass genommen werden kann, äußere religiöse Bekundungen zu verbieten. Die Regelung in § 57 Absatz 4 des Landesschulgesetzes sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass statt einer abstrakten eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens vorliegen muss, um die Verletzung der staatlichen Neutralität des Lehrpersonals durch religiöse Bekundungen festzustellen. Die Regelung, wonach die „Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“ und damit christliche Symbole ausdrücklich ausgenommen waren, bedeute eine verfassungswidrige Privilegierung und sei daher nichtig. Das Land NRW hat sein Schulgesetz am 25. Juni 2015 entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geändert.
Sieben weitere Länder mit sogenannten Kopftuchverboten
Auch sieben weitere Länder haben in ihren Schulgesetzen vergleichbare Regelungen verankert, die für das Lehrpersonal das Verbot ein Kopftuch zu tragen zur Folge haben. Die Privilegierung christlicher und jüdischer Symbole ist ebenfalls bei einigen Ländern rechtlich festgelegt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts richtet sich zwar unmittelbar nur an das Land NRW, dennoch ist sie auch bindend für die Rechtsauslegung der übrigen Länder. Wie sind die Länder dem nachgekommen?
Bremen und Niedersachsen: Anpassung der Praxis – nicht des Gesetzes
In Bremen informierte die Bildungssenatorin bereits im März 2015, dass alle Schulleitungen nun auch Lehrerinnen mit Kopftuch einstellen können. Das Bremische Schulgesetz wird dafür nicht geändert, da die verfassungsgemäße Auslegung der Regelung genüge.
Auch in Niedersachsen bleibt die betreffende Regelung im Schulgesetz unverändert. Hier hat das Kultusministerium per Runderlass im August letzten Jahres die öffentlichen Schulen informiert, dass Lehrerinnen nun auch mit Kopftuch unterrichten dürfen.
Berlin: Kein Änderungsbedarf am Neutralitätsgesetz
In Berlin gilt das sogenannte Neutralitätsgesetz für Beschäftigte im Schuldienst und in Kindertagespflegeeinrichtungen sowie für Beamtinnen und Beamte der Polizei, der Rechtspflege und des Justizvollzugs. Hier werden im Sinne der staatlichen Neutralität alle religiösen Symbole untersagt. Anlässlich des Beschlusses des Verfassungsgerichts legt der Wissenschaftliche Parlamentsdienst in einem Gutachten vom Juni 2015 dar, dass das Neutralitätsgesetz einem pauschalen Kopftuchverbot gleichkomme und somit zumindest für Lehrerinnen nicht verfassungskonform sei. Der Berliner Innensenator erklärte jedoch im Oktober 2015, dass kein Änderungsbedarf an der Berliner Regelung bestehe. Diese würde alle Religionen und Weltanschauungen unterschiedslos behandeln und somit mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts entsprechen.[1]
Bundesländer mit Privilegierung christlicher Kulturwerte
In den Schulgesetzen von Baden-Württemberg, Bayern, Saarland und Hessen ist neben dem pauschalen Kopftuchverbot auch die Privilegierung christlicher Bildungs- und Kulturwerte verankert. Im Falle Hessens gelten beide Regelungen zusätzlich im Beamtengesetz. In all diesen Bundesländern wurde der Gesetzestext nicht verändert.
Baden-Württemberg: Gesetzesänderung vertagt
In Baden-Württemberg werde der Beschluss des höchsten deutschen Gerichts zwar in der Praxis umgesetzt, eine Neuformulierung des Schulgesetzes wurde jedoch auf die Zeit nach den Landtagswahlen am 13. März 2016 vertagt. Die Landesregierung sieht in ihrem schon vorgelegten Gesetzentwurf vor, die bisherige Privilegierung der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen abzuschaffen.
Hessen: Keine Gesetzesänderung, sondern Erlass an Verwaltung
Das hessische Kultusministerium verkündete per Erlass im September 2015, dass das Schulgesetz „künftig entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform ausgelegt werden“[2] soll. Dabei soll im jeweiligen Einzelfall überprüft werden, ob eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens vorliegt. Die Privilegierung christlicher Symbole gilt bereits durch ein Schreiben des hessischen Staatsgerichtshofes vom Dezember 2007 als aufgehoben.
Bayern: Gesetzesänderung abgelehnt
In Bayern legte die Landtagsfraktion der Grünen einen Gesetzesentwurf vor, der die Streichung sowohl des Kopftuchverbots als auch der Privilegierung christlicher Werte vorsah. Der Landtag folgte der Empfehlung des Ausschuss für Bildung und Kultus, den Vorschlag abzulehnen. Daraufhin erklärte das Kultusministerium im Landtag, dass Einzelfälle konkret geprüft würden, eine Gesetzesänderung aber nicht nötig sei.[3]
Saarland: Bisher keine Entscheidung
Im Saarland ist bisher keine Entscheidung darüber gefallen, in welcher Form auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagiert werden soll.
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[1] Pressemitteilung des Berliner Senats vom 27.10.2015: Henkel: keine Änderung des Berliner Neutralitätsgesetzes. Link: https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2015/pressemitteilung.391654.php
[2] Pressemitteilung des hessischen Kultusministeriums vom 08.09.2015: Erlass zum Tragen eines islamischen Kopftuchs in öffentlichen Schulen. Link: https://kultusministerium.hessen.de/presse/pressemitteilung/mehr-als-100-neue-intensivklassen-der-sprachfoerderung
[3] Bayerischer Landtag- 17. Landtag Plenarprotokoll 17/44 vom 20.05.2015, Seite 4684. Link: https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Protokolle/17%20Wahlperiode%20Kopie/17%20WP%20Plenum%20Kopie/055%20PL%20201015%20ges%20endg%20Kopie.pdf