Koranische Basis des Kopftuchs ,
Das Gebot des Kopftuchtragens für die Frau wird vor allem mit drei Textpassagen des Korans begründet, die sich in Sure 24, Vers 31 sowie Sure 33, Vers 53 und 59 finden. Zunächst zur ersten dieser Stellen, die den Musliminnen insgesamt die Erfordernisse sittsamen und schamhaften, auf Koketterie und unnötige sexuelle Aufreizung der Männer verzichtenden Betragens vor Augen führt. Sure 24 / 31 beginnt mit den folgenden Sätzen: (Zitiert wird hier nach der Übersetzung von Rudi Paret, jedoch mit gelegentlichen Abweichungen zugunsten größerer Wörtlichkeit und unter Belassung der arabischen Originalbegriffe, soweit deren Bedeutung besonderer Erläuterung bedarf und die von Paret gewählte Wiedergabe kontrovers beurteilt wird.)
Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen die Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist, den Schmuck, den sie tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht (sc. normalerweise) sichtbar ist, ihren himār (Im Originaltext steht der Plural dieses Wortes, humur.) über den Schlitz (sc. des Kleides) ziehen und den Schmuck, den sie tragen, niemandem offen zeigen, außer ihrem Mann, ihrem Vater, ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihrer Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Bediensteten, die keinen Geschlechtstrieb haben, und den Kindern, die noch nichts von weiblichen Geschlechtsteilen wissen. (…)
Innerhalb dieses Passus bezieht man sich zur Begründung der Pflicht zum Kopftuchtragen auf zwei verschiedene Stellen, nämlich einerseits die Maßgabe, die Frauen sollten ihren himār über den Schlitz ihres Kleides ziehen, andererseits das Verbot, den eigenen Schmuck anderen Personen als den aufgezählten zu zeigen. Was ist nun der himār, der über den Gewandschlitz gezogen werden soll? Vorausgesetzt ist an der zitierten Koranstelle zweifellos die altarabische Frauenbekleidung, deren Aussehen von Erwähnungen in vorislamischer oder mit dem Propheten Muhammad etwa gleichzeitiger arabischer Poesie her rekonstruierbar ist. Sie bestand aus einem langen und weiten hemdartigen Kleid, bei dem vorn vom Halsausschnitt aus ein offener Schlitz in Richtung Taille nach unten reichte – ein Schlitz also, der, wäre er nicht zusätzlich bedeckt worden, bei bestimmten Bewegungen oder Körperhaltungen den Brustbereich der Frau hätte sichtbar werden lassen –, und weiter aus einem ungenähten großen Umschlagtuch, himār genannt, das um Kopf und Schultern drapiert wurde und auch vor das Gesicht gezogen werden konnte. Vor diesem Hintergrund bedeutet die Aufforderung des Koranverses also, die Frauen sollten sich die Enden dieses Schleiertuchs, des himār, so über den Schlitz ihres Kleides schlagen, dass die Möglichkeit aufreizender Einblicke in ihr Décolleté mit Sicherheit unterbunden war.
Festzuhalten bleibt, dass der Imperativ des Korans an dieser Stelle nicht lautet, die Frauen sollten ihren Kopf mit dem himār bedecken, sondern vielmehr, sie sollten den Schlitz ihres Kleides und damit ihr Décolleté mit diesem damals allgemein üblichen Bestandteil der altarabischen Frauenbekleidung bedecken.
Außerdem wird aus diesem Koranvers noch die Bestimmung herangezogen, Frauen dürften ihren Schmuck niemandem außerhalb des Kreises der im einzelnen genannten nahestehenden Personen oder der Geschlechtsgenossinnen, wenn sie mit diesen allein sind, zeigen. In frühislamischer Zeit herrschten noch unterschiedliche Ansichten darüber, ob hier mit dem Schmuck, den die Frau außerhalb dieses Kreises auf keinen Fall offen zeigen darf, auch ihr Haupthaar gemeint sei. Von einzelnen namentlich bekannten frühen Autoritäten sind Erklärungen dieser Koranstelle überliefert, die erkennen lassen, dass sie mit dem Schmuck, von dem hier die Rede ist, zunächst einmal nur am Körper getragene Schmuckstücke und dekorative Kosmetik wie etwa Körperbemalungen mit Henna assoziierten. Dennoch setzte sich unter islamischen Gelehrten die Einschätzung durch, dass das Haar der Frau zu ihrem Schmuck zu rechnen sei, der gegenüber Männern außerhalb des genannten Personenkreises nicht sichtbar sein darf.
Nun zu dem zweiten Koranvers, mit dem das Gebot des Kopftuchtragens für Frauen begründet wird, Sure 33 / 53.:
Und wenn ihr die Gattinnen des Propheten um etwas bittet, das ihr benötigt, dann tut das hinter einem hijāb hervor! Auf diese Weise bleibt ihr und euer Herz rein.
Dieser Formulierung als solcher ist noch nicht zu entnehmen, ob die Besucher oder andere Personen, z. B. die Gattinnen des Propheten, für das Vorhandensein des hijāb sorgen sollen, der den sittlichkeitsgefährdenden Anblick der Prophetengattinnen verunmöglicht. Das wird jedoch im übernächsten Vers, 55, klar. Dort wird nämlich weiter ausgeführt, der Verzicht auf diesen Blickschutz sei keine Sünde für die Prophetengattinnen, "wenn es sich" bei den Besuchern "um ihren Vater, ihre Söhne, ihre Brüder, die Söhne ihrer Brüder und Schwestern, ihre Frauen (gemeint sind wohl: Frauen, mit denen sie Umgang pflegen) und ihre Sklavinnen handelt." Und der Vers schließt mit dem an die Prophetengattinnen gerichteten Appell: "Fürchtet Gott!" Es sind also diese Frauen, die um ihres Heiles willen darauf achten müssen, durch den hijāb vor den Blicken fremder Männer abgeschirmt zu sein.
Was ist nun der hijāb, von dem hier die Rede ist? Das Wort ist heutzutage die arabische Standardbezeichnung für den Kopfschleier, war es zu Zeiten der Verkündung des Koran aber noch nicht. Es heißt seiner Grundbedeutung nach "Absperrung" oder "Verhüllung vor jemandes Blicken" und von daher dann auch "Vorhang" oder "Schleier". Wenn der Koranvers sagt, die männlichen Besucher sollten mit den Prophetengattinnen nur "hinter einem hijāb hervor" sprechen, dann ist hier offensichtlich an einen Vorhang gedacht, nicht an ein Tuch, das die Frau auf dem Kopf trägt. Im übrigen sind mit den Vorschriften zum hijāb in diesem Koranvers speziell die Frauen des Propheten und die Besucher von dessen Haus angesprochen. In diesem Zusammenhang haben Kulturhistoriker auf den Tatbestand hingewiesen, dass es zur Entstehungszeit des Islam an Herrscherhöfen des Nahen Ostens und des östlichen Mittelmeerraums – so am Hof der iranischen Sasanidenkönige, aber auch am byzantinischen Kaiserhof – ein fester Bestandteil der Etikette war, die Frauen des Herrschers hinter einem Vorhang vor Besuchern zu verbergen oder ihnen umgekehrt durch einen solchen den Blick in den Raum zu versperren, in dem der Herrscher empfing. Bei Verkündung des Koranverses zum hijāb war der Prophet bereits Oberhaupt eines expandierenden islamischen Stadtstaates; daher ist die Vermutung geäußert worden, dass dieser Koranvers eine Übernahme einer derartigen Hofetikette in den islamischen Rahmen reflektieren könnte. Wie dem auch sei: In der Folgezeit haben islamische Rechtsgelehrte angenommen, dass die hier speziell für die Frauen des Propheten getroffene Regelung auch für die muslimischen Frauen im allgemeinen zu gelten habe, und sie haben mit ihr die generelle Forderung der Geschlechtersegregation begründet, zu deren Instrumenten in früheren Zeiten, außer der Verschleierung des Kopfes und im städtischen Bereich auch des Gesichts der Frau gegenüber fremden Männern, noch die Beschränkung der Frau auf ein Frauengemach innerhalb des Hauses und ihr weitgehender Ausschluss aus dem öffentlichen Raum gehörten.
Als dritter Vers wird auch noch Sure 33 / 59 häufig zur Begründung der Vorschrift der Kopfverschleierung herangezogen. Hier heißt es an den Propheten gerichtet:
Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen sich etwas von ihrem Gewand (ğilbāb) (Im Originaltext steht hier der Plural ğalābīb.) herunterziehen. So ist am ehesten gewährleistet, dass sie erkannt und daraufhin nicht belästigt werden.
Diese Koranstelle als solche sagt weder etwas über die genaue Natur der belästigungsträchtigen Situation aus, für die die hier gegebene Verhaltensanweisung gelten soll, noch sagt sie genau, wie das Herunterziehen der Gewänder geschehen und was damit verhüllt werden soll. Die Bezeichnung für das herunterzuziehende Kleidungsstück, ğilbāb, wird in der klassischen islamischen Kommentarliteratur überwiegend als Ausdruck für ein weites umhangartiges Gewand identifiziert, das bei den alten Arabern nur freie Frauen, nicht jedoch Sklavinnen außerhalb des Hauses trugen und das mithin zugleich ein Merkmal ihres sozialen Status war.
Überblickt man nochmals die drei besprochenen Korantexte, die hauptsächlich zur Begründung des Kopftuchgebots für die Frau herangezogen werden, so ergibt sich, dass keiner von ihnen die Kopfverschleierung explizit vorschreibt. Dass sie in der älteren islamischen Tradition dennoch einhellig im Sinne einer solchen Vorschrift interpretiert wurden, beruht auf zusätzlichen Bestimmungen, die im Hadīth, der Überlieferung über die Worte und die als vorbildhaft erachteten Handlungsweisen des Propheten, ihren Niederschlag gefunden haben. An diese zweite normative Textquelle des Islam haben sich Koranexegese und Rechtsgelehrte in der Entwicklung ihrer Aussagen zu den Bekleidungsvorschriften für die Frau angeschlossen.
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Dieser Text ist ein zusammenfassender Bericht über den ersten Teil eines Vortrags von Prof. Dr. Wielandt, den sie im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz gehalten hat. Den Originaltext des Vortrags können Sie als pdf-Datei herunterladen (siehe weitere Informationen/Downloads).