Opferfest in Deutschland - Muslime feiern ,
Ein großes Tier wird es in diesem Jahr sein. Dursun Selvi will mit sieben Männern aus seiner Moscheegemeinde zum Opferfest ein Kalb schlachten lassen. "Ich beteilige mich mit 200 Euro", berichtet der Mann aus dem Rheinland. Der Vorstand der Mimar-Sinan-Moschee in Brühl-Wesseling beauftragt einen muslimischen Schlachter, der sich um die Bestellungen kümmern wird. Dursun Selvi wird am ersten Tag des Opferfests das Festgebet in der Moschee verrichten und mit seinem Anteil am Opfertier nach Hause fahren. Einen Drittel des Fleisches behält Familie Selvi für sich, der Rest wird an Freunde, Bekannte und Menschen aus der Nachbarschaft verteilt.
Derzeit beginnt für Muslime in diesem Jahr weltweit das Opferfest, das sich am Mondkalender orientiert und sich jährlich um elf Tage nach vorn verschiebt. Seinen Ursprung hat es im Alten Testament und es erinnert an den Propheten Ibrahim (Abraham), der eine göttliche Probe bestand und seinen Sohn Ismail nicht mehr zu opfern brauchte. "Dieses vier Tage dauernde Fest ist auch ein Symbol für die gemeinsamen Wurzeln der monotheistischen Religionen", erklärt Bülent Uçar, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück.
Spenden für Opfer von Naturkatastrophen
Dursun Selvi und viele andere aus seiner Moscheegemeinde haben im vergangenen Jahr für die Opfer der Überschwemmungskatastrophe in Pakistan gespendet. So manches Mal überwies der Rentner aber auch Geld an den DITIB--Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion -Verband, der anlässlich des Opferfests jedes Jahr zu einer Spendenaktion aufruft. Von den Spenden aus Deutschland werden Opfertiere in der Türkei geschlachtet und das Fleisch an bedürftige Familien verteilt.
Besteht für Muslime die Pflicht, ein Tier zu opfern? Auf diese Frage gebe es keine eindeutige Antwort, erklärt Professor Uçar: "In den meisten Rechtsschulen wird es als empfohlen - sunna - betrachtet; die Hanafiten sehen es jedoch als "wadschib", also als religiös notwendig an." Und auch wenn die Details umstritten seien, so gelte grundsätzlich, dass jeder Muslim, der über entsprechende finanzielle Ressourcen verfügt, ein Tier zu opfern habe.
Dieses religiöse Ritual wird auch unter den Muslimen in Deutschland sehr unterschiedlich befolgt. Manch eine muslimische Familie hält sich daran, andere hingegen möchten nicht "unnötig Blut fließen lassen". Kadriye Pamuk beispielsweise schickt Geld an bedürftige Familienangehörige. Sie hat im Laufe der Zeit "eine pragmatische Einstellung" zum Opferfest entwickelt. "Uns fehlt es hier nicht an Fleisch, und was die Verwandten mit dem Geld machen, das ich ihnen überweise, ist ihnen überlassen", meint die gebürtige Türkin, die seit 1972 in Deutschland lebt.
Geschenke gegen Handkuss
An die Feste ihrer Kindheit erinnert sich die 59-Jährige sehr gerne. Schon viele Tage vorher war sie aufgeregt und konnte es nicht abwarten, ihre neuen Kleider anzuziehen. Denn neu eingekleidet wurde sie nur zu hohen Feiertagen. Und sie freute sich auch auf andere Geschenke wie Bonbons und Geld, die sie von den Erwachsenen bekam, wenn sie ihnen mit einem Handkuss zum Opferfest gratulierte. Inzwischen ist sie Oma, hat mehrere Enkel, die ihr jetzt die Hand küssen könnten. Doch sie sind nicht in ihrer Nähe.
Das Ehepaar Pamuk wohnt bei Stuttgart, ihre 35-jährige Tochter lebt mit Ehemann und zwei Söhnen im Alter von fünf und sechs Jahren bei Frankfurt. Wenn das Opferfest auf Werktage fällt, dann gibt es im Hause Pamuk lediglich Besuch von Freunden und Bekannten aus der Nachbarschaft. Kadriye Pamuk hat – wie jedes Jahr – vorgekocht. Gefüllte Weinblätter wird sie ihren Gästen diesmal servieren. Und da dieses Jahr der erste Tag des Fests glücklicherweise auf einen Sonntag fällt, werden auch ihre Enkelkinder da sein. "Das schönste an dem Fest ist das gesellige Beisammensein", meint die mehrfache Großmutter.
Opfern als gottesdienstliche Handlung
Am Opferfest gehe es nach den Worten von Professor Uçar "nicht grundsätzlich um das Verteilen von Fleisch". Die Schächtung selbst sei eine gottesdienstliche Handlung. Wenn Muslime in einem Land lebten, dessen Rechtsordnung dies nicht zulasse, dann gelte es, "auf der Basis der Religionsfreiheit um sein Recht zu streiten", erklärt Uçar. In Deutschland ist das Schächten zum Beispiel nur mit einer speziellen Ausnahmegenehmigung möglich. Daher spenden hiesige Muslime immer häufiger – etwa für Bedürftige in Somalia oder in Ländern, die von Naturkatastrophen betroffen sind.
Das Opferfest hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Früher, in Zeiten knapper Kassen, ermöglichte erst das religiöse Ritual des Schlachtens und Teilens den Armen, Fleisch zu essen. Heute hingegen bedeutet das Fest vielen vor allem eine willkommene Gelegenheit, mit der Familie, Freunden und Bekannten zusammenzukommen. Uçar sieht darin ein Bespiel dafür, dass sich Religion auch zur Kultur weiterentwickeln kann. Festzustellen sei aber auch, sagt der Islamwissenschaftler, dass viele Menschen, die sonst religiös "recht unmusikalisch sind, das Gebot des Opferns sehr ernst nehmen".
Von Canan Topçu, 02.11.11